Artikel 14/10/2009

Schweinegrippe, Vogelgrippe und demnächst? Ein Aufruf zur Besonnenheit

Team jameda
Team jameda
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Das Thema hat Kabarettreife erlangt, nicht irgendwo auf der Bühne dubioser Possenreißer, sondern in der neuen Late-Night-Show von Harald Schmidt. ‘Wir in den Medien’, sagte der scharfzüngige Spötter neulich, ‘haben das Recht, dass diese Grippe im Herbst richtig ausbricht.’ Das war eine letzte Warnung, kein abgeschmackter Zynismus, wie er dem Kabarettisten gern unterstellt wird, eher schon ein Wink mit dem Zaunpfahl. Wenn es noch eines Anstoßes bedurft haben sollte, der neuesten Grippe-Inszenierung zu misstrauen, darauf lieber mit Skepsis als mit Angst zu reagieren, dann wurde er durch die Satire gegeben. Für mich stand freilich schon vorher fest, dass ich mich nicht impfen lasse, obwohl ich mich impfen lasse. Was das heißen soll? Ganz einfach, wie jedes Jahr werde ich mich zum Schutz vor der ganz normalen Wintergrippe mit einem erprobten Impfstoff behandeln lassen. Denn immerhin fallen dieser Krankheit, der saisonalen Influenza, Jahr für Jahr 500.000 Menschen zum Opfer. Allein in Deutschland erlagen ihr in den letzten Jahren bis zu 20.000 jährlich. Das sind siebenmal mehr, als bis heute weltweit an den Folgen der Schweinegrippe gestorben sind. Dies allein wäre jedoch noch kein Grund, der Kampagne zur Schweinegrippeschutzimpfung zu misstrauen und das Angebot zu dieser Impfung nicht anzunehmen, wie ich es für mich entschieden habe.

Natürlich weiß ich, welche Bedeutung der Impfung generell zukommt. Die Erfindung unterschiedlichster Impfstoffe und ihre flächendeckende Anwendung haben die Menschheit von Seuchen und Epidemien befreit, tödliche Risiken beherrschbar gemacht. Man denke nur an die Pocken, an Diphterie, Hepatitis, Kinderlähmung, Tetanus und eben auch immer mehr an die landläufige, gar nicht so ungefährliche Grippe. Nur wurden die dabei eingesetzten Medikamente, die Seren, auf Grundlage intensiver Forschung und genauer Kenntnis der jeweiligen Krankheit ständig weiterentwickelt. Aber was wissen wir bisher über die Schweingrippe? Genug, um ad hoc ein Serum zu entwickeln, das bei beherrschbaren Nebenwirkungen den gewünschten Erfolg garantiert? Und wie groß ist die Gefahr dieser Krankheit eigentlich? Immerhin sind die ersten Fälle von Schweinegrippe schon 1976 bekannt geworden. Und dass es bisher zu keiner größeren Ausbreitung, geschweige denn zu einer Pandemie kam, das alles könnte doch auch ein Anzeichen dafür sein, dass wir über eine ‘natürliche’ Immunstärke gegen diese Krankheit verfügen. Müssten wir darüber nicht erst Gewissheit erlangen, bevor wir unter politischem Druck hektisch werden und auf die Schnelle Impfstoffe entwickeln, vor denen viele Ärzte jetzt schon warnen, weil noch gar nicht absehbar sein kann, mit welchen Nebenwirkungen seine Anwendung verbunden sein wird, etwa bei Schwangeren oder Herz-Kreislauf-Patienten? Selbst die Bundeswehr ist derart irritiert, dass sie andere Impfstoffe als die von der Politik für die Bevölkerung empfohlene bestellt.

Bei einem derartigen, immer öfter geübten gesundheitspolitischen Aktionismus stellt sich die Frage, ob nicht die Gesellschaft als Experimentierfeld missbraucht wird. Panik entsteht unversehens. Politiker diskutieren über die Kosten einer kurzfristig anberaumten Volksimpfung. Betriebswirte nehmen die Sache in die Hand. Kaum jemand denkt noch an seriöse medizinische Aufklärung oder die dringend notwendige Anleitung zur Verbesserung der eigenen Immunität. Wo wir Sicherheit brauchten, sorgen Gerüchte und Vermutungen für Verunsicherung. Alle reden über etwas, von dem keiner Genaues zu sagen weiß. Furcht vor dem Ungewissen weckt Misstrauen. Wer jetzt noch niest, hat sich die Folgen selbst zuzuschreiben. So einen will man eigentlich nicht mehr neben sich haben, nicht im Büro und gleich gar nicht auf dem Flug in den Urlaub.
Sicher, die Darstellung ist übertrieben, bewusst zugespitzt, aber sie mag doch verdeutlichen, in welcher Gefahr wir wirklich schweben. Immer aufs Neue lassen wir uns in den Bann bislang unbekannter oder kaum beachteter Bedrohungen ziehen und vergessen dabei, uns vor den wirklichen Bedrohungen zu schützen, nur weil sie keinen Aufsehen erregenden Neuigkeitswert mehr haben. Sollte es jetzt, in zwei Wochen, zu der staatlich geförderten Impfung gegen die Schweinegrippe kommen, müssen die Ärzte, Gesundheitsämter und Krankenhäuser befürchten, dem Ansturm nicht gewachsen zu sein, während gleichzeitig zu wenige Menschen zur Impfung gegen die ganz normale, aber erwiesenermaßen gefährliche Wintergrippe kommen, von der Impfmüdigkeit gegen andere Erkrankungen wie die Masern ganz zu schweigen.

Die jetzt beschlossenen Ausgaben in dreistelliger Millionenhöhe zur aktionistischen Schweinegrippen-Impfung hätte man sich für Aufklärungsaktionen, Vorsorgemaßnahmen und für eine Aktion zur Impfung gegen die saisonale Grippe gewünscht.

Ob das alles ein Werk der Pharmaindustrie ist, ob sie die Kampagnen schürt, um ihr Geschäft mit der Produktion neuer Impfstoffe zu machen, sei hier dahingestellt. Denn was hätte die Industrie schließlich von derartig kurzlebigen Produktionszyklen im Rhythmus immer schneller aufeinanderfolgender Pandemie-Ausrufungen. Dass es schwarze Schafe auch in dieser Branche gibt, ist unbestritten. Man denke nur an den Fall einer Schweinegrippe-Impfstoff produzierenden Firma, die das Risko der ‘des zufälligen Untergangs und der zufälligen Verschlechterung des Pandemie-Impfstoffs’ auf die Länder übertragen will, um sich selbst damit ‘gesamtschuldnerisch frei von Schadensansprüchen’ zu  stellen. Ein solcher Vorgang zerstört Vertrauen in Politik und Industrie.

In jedem Fall aber erscheint mir die Anfälligkeit unserer Gesellschaft für Hiobsbotschaften jeglicher Art sehr bedenklich. Nicht, dass wir drohende Gefahren nicht ernst nehmen sollten; da darf nichts klein geredet werden. Das gilt für den Rinderwahnsinn wie für die Vogelgrippe. Haben wir schon vergessen, welch unglaubliche Menge von Vögeln und Hühnern damals vernichtet wurden, wie fast Panik darum ausbrach, ob ausreichende Mengen des abwehrsteigernden Neuramidase-Medikaments Tamiflu® vorrätig sind? Auch in diesem Fall hat die Politik nicht unerhebliche Lagerbestände in Auftrag gegeben. Müßten nicht wir Ärzte viel mehr die Patienten an die Hand nehmen und sie umfassend beraten,  um der Irritation und der dadurch möglicherweise beschleunigten Impfmüdigkeit der Bevölkerung entgegenzuwirken? Denn mit Panikreaktionen ist der Schweinegrippe nicht beizukommen. Sie könnten uns am Ende noch dazu verführen, ganze Tier-Populationen abzuschlachten, ohne die ersehnte Sicherheit wirklich zu erlangen. Wer weiß heute schon, ob nicht auf die Schweine- bald eine Mäuse- oder Goldfischgrippe folgt? Ganz abgesehen davon, dass die meisten Fälle von Schweinegrippe bisher einen weniger dramatischen Verlauf zeigen.

Bei aller geboten Vorsicht, je mehr wir uns von den Horror-Meldungen treiben lassen, desto mehr laufen wir Gefahr, in die Abhängigkeit zu geraten, anfällig zu werden, weil wir in der geschürten Furcht vor unbekannten Bedrohungen vergessen, uns vor dem zu schützen, was uns viel unmittelbarer anfallen kann. Deshalb plädiere ich neben der notwendigen Aufklärung für die Impfung und warne zugleich vor dem Impf-Event. Gerade im Angesicht der ersten sehr bedauernswerten Todesfälle in Deutschland.

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