Artikel 16/03/2014

Werden wir als Alkoholiker geboren oder erst dazu gemacht?

null René Marx Heilpraktiker für Psychotherapie
null René Marx
Heilpraktiker für Psychotherapie
als-alkoholiker-geboren

Aus biologisch-medizinischer Sicht ist Alkoholismus die Folge genetischer Dispositionen und Stoffwechselabweichungen im Gehirn. Aus soziologisch-psychologischer Sicht ist süchtiges Trinken die Folge seelischer Verletzungen und ungünstiger sozialer Bedingungen. Die Grundfrage lautet also: Werden wir als Trinker geboren oder erst dazu gemacht?

Psychosoziale Risikofaktoren
Für viele Menschen sind schwierige Lebenssituationen, scheinbar unüberwindbare Probleme in der Familie oder im Beruf oder extreme Situationen in ihrer Vergangenheit die Auslöser, die sie in die Alkoholabhängigkeit führen. Diese bestimmten Situationen werden in der Fachsprache psychosoziale Risikofaktoren genannt. Eine Langzeitstudie der Universität Berkeley in Kalifornien brachte hierzu wichtige Erkenntnisse. Es wurden bei ca. 100 Personen von deren dritten bis zum achtzehnten Lebensjahr ganz gezielt die Zusammenhänge zwischen Persönlichkeitsentwicklung und späterem Suchtmittelgebrauch untersucht. Die erwachsenen Personen konnten schließlich in drei etwa gleich große Gruppen unterteilt werden.

  • Ein Drittel der untersuchten Personen konnten als Gelegenheitskonsumenten bezeichnet werden. Sie nahmen hin und wieder Suchtmittel wie Alkohol zu sich, waren aber nur in geringem Maße suchtgefährdet.
  • Ein Drittel nahm häufig Suchtmittel zu sich und musste als stark gefährdet bis abhängig eingestuft werden.
  • Ein Drittel lebte fast oder sogar vollständig abstinent.

Bezüglich der Persönlichkeitsentwicklung dieser Gruppen ist Folgendes interessant:
Die Gruppe der Gelegenheitskonsumenten wies über den gesamten Beobachtungszeitraum in der Regel positive Persönlichkeitsmerkmale auf. Die Betroffenen stammten aus intakten Familien und schienen als Kinder und Jugendliche relativ glücklich gewesen zu sein. Sie waren sozial akzeptiert, wiesen ein gutes Selbstwertgefühl auf und waren lebens- und experimentierfreudig. Dazu gehörte offensichtlich auch das gelegentliche Einnehmen von Suchtmitteln.

Ganz anders geartet war dies bei den beiden anderen Gruppen. Sowohl die Suchtgefährdeten als auch die Abstinenzler fielen durch Einzelgängertum, soziale und emotionale Schwierigkeiten und geringes Selbstwertgefühl auf. Sie stammten überwiegend aus schwierigen Familienverhältnissen, in denen Sucht kein Fremdwort war und sie schienen als Kinder und Jugendliche eher unglücklich gewesen zu sein. Bezüglich der Suchtgefährdung reagierten beide Gruppen jedoch völlig gegensätzlich. Während die einen Suchtmittel benutzten, um ihre sozialen und emotionalen Probleme in den Griff zu bekommen, spürten oder erkannten die anderen anscheinend ihre potentielle Suchtgefährdung und reagierten mit äußerster Vorsicht oder sogar Abstinenz.

Wir wissen heute, dass viele Alkoholiker aus Alkoholikerfamilien kommen. Es lässt sich jedoch nicht klären, ob das Kind einer Alkoholikerfamilie beim Heranwachsen so vielen psychosozialen Risikofaktoren ausgesetzt ist, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit Alkoholiker wird, oder ob das an seiner genetischen Veranlagung liegt. Beides wirkt zusammen, beeinflussen kann man bislang nur die Risikofaktoren, bei denen die familiären Umstände offenbar die größte Rolle spielen. Nicht nur der Missbrauch von Alkohol und anderen Suchtmitteln wirkt sich ungünstig auf Kinder und Jugendliche aus. Auch fehlende Zuwendung, Unzuverlässigkeit und nicht konsequent gezogene Grenzen belasten sie emotional und fördern suchttypische Verhaltensweisen. Auf diese Weise entstehen Hemmungen, Kontaktstörungen, Ängste und geringes Selbstwertgefühl. Erfährt ein solches Kind die lindernde Wirkung von Alkohol, ist seine eigene „Trinkerkarriere“ vorprogrammiert (vgl. Dietze/Spicker 2007, S.16-55).

Menschen, die zu bestimmten Anlässen und überwiegend aus einer neutralen und positiven Stimmungslage heraus Alkohol trinken, sind in der Regel nicht alkoholgefährdet, außer sie gewöhnen sich an häufige Trinkanlässe und größere Mengen. Der Übergang vom gelegentlichen Alkoholgenuss zum Gewohnheitstrinker wird dabei regelrecht gesellschaftlich gefördert. Alkohol ist einerseits die beliebteste Alltagsdroge, die man gern gemeinsam mit Freunden beim geselligen Beisammensein oder auf Partys genießt, andererseits aber auch das allgemein akzeptierte Beruhigungsmittel, dass den Alltagsstress verjagt oder den Feierabend einläutet.

Riskant wird es, wenn sich unbewusst folgendes Muster verfestigt:
Jedes Mal, wenn durch unangenehme Situationen unangenehme Gefühle entstehen, dämpft man sie mit Alkohol und verwandelt sie in angenehmere Gefühle um. Hierbei entfällt natürlich die Möglichkeit, sich mit den Ursachen der Verstimmung auseinanderzusetzen und sie zu bewältigen. Zusätzlich gewöhnt sich auch der Stoffwechsel an das regelmäßige Trinken, die Alkoholtoleranz steigt schleichend und es kommt zur Dosissteigerung.

Besonders Männer erleben dies jedoch nicht als Warnsignal, sondern eher als Bestätigung ihrer Männlichkeit. Jemand der viel verträgt, wird für seine Standfestigkeit bewundert und nicht wegen seiner hohen Getränkerechnung oder seiner Stoffwechselüberlastung bedauert. Vom Unbewussten gesteuert und weitgehend unbemerkt kann hier eine gefährliche Dynamik entstehen: Wer mehr verträgt, trinkt immer größere Mengen und gewöhnt sich daran.

Um von starker Alkoholgefährdung oder Problemtrinken sprechen zu können muss jedoch ein entscheidender Faktor hinzukommen: Das Fehlen von Alkohol zu bestimmten Anlässen führt zu Verstimmungen oder das Ausschlagen einer Trinkgelegenheit fällt - trotz festem Vorsatz - schwer.

Die Veröffentlichung dieser Inhalte durch jameda GmbH erfolgt mit ausdrücklicher Genehmigung der Autoren. Die Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und jede Art der Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtes bedürfen der schriftlichen Zustimmung der jeweiligen Autoren.

Die Inhalte der Experten Ratgeber ersetzen nicht die Konsultation von medizinischen Spezialisten. Wir empfehlen Ihnen dringend, bei Fragen zu Ihrer Gesundheit oder medizinischen Behandlung stets eine qualifizierte medizinische Fachperson zu konsultieren. Der Inhalt dieser Seite sowie die Texte, Grafiken, Bilder und sonstigen Materialien dienen ausschließlich Informationszwecken und ersetzen keine gesundheitlichen Diagnosen oder Behandlungen. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Meinungen, Schlussfolgerungen oder sonstige Informationen in den von Dritten verfassten Inhalten ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors darstellen und nicht notwendigerweise von jameda GmbH gebilligt werden. Wenn die jameda GmbH feststellt oder von anderen darauf hingewiesen wird, dass ein konkreter Inhalt eine zivil- oder strafrechtliche Verantwortlichkeit auslöst, wird sie die Inhalte prüfen und behält sich das Recht vor, diese zu entfernen. Eigene Inhalte auf unserer Website werden regelmäßig sorgfältig geprüft. Wir bemühen uns stets, unser Informationsangebot vollständig, inhaltlich richtig und aktuell anzubieten. Das Auftreten von Fehlern ist dennoch möglich, daher kann eine Garantie für die Vollständigkeit, Richtigkeit und Aktualität nicht übernommen werden. Korrekturen oder Hinweise senden Sie bitte an experten-ratgeber@jameda.de.


www.jameda.de © 2023 - Wunscharzt finden und Termin online buchen.

Diese Webseite verwendet Cookies.
Surfen Sie weiter, wenn Sie unserer Cookie-Richtlinie zustimmen.