Artikel 01/02/2016

Das jameda-Interview: 10 Fragen an Dr. med. Carola Baisse

Team jameda
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Ärzte haben einen besonderen Blick auf die Welt der Medizin. Damit Patienten hinter die Kulissen des Gesundheitswesens blicken können, stellt jameda Frau Dr. med. Carola Baisse interessante Fragen zu ihren Erfahrungen als Praktische Ärztin.

Jameda: Frau Dr. Baisse, was hat Sie motiviert, Praktische Ärztin zu werden?
Frau Dr. Baisse: Seit meinem sechsten Lebensjahr imponiert mir die ärztliche Kunst des Heilens. Ich komme nicht aus einer Arztfamilie und so schien es mir immer wieder wie ein Wunder, dass mich ein Arzt oder eine Ärztin so souverän untersucht hat, meinem Leiden immer einen Namen geben konnte und dieses so wichtige Rezept ausstellte mit einem Heilmittel darauf, dass ich einnahm und das mir zu einer Besserung verhalf. Das hatte so etwas Geheimnisvolles und Kunstvolles. Auch hat mich zum Beispiel ein geschickt angelegter kühlender Verband immer wieder beeindruckt, wenn ich einmal vom Fahrrad gefallen war und meine Mutter mit mir zu unserem Hausarzt ging. Der Verband tat jedes Mal so gut! Diesen Geheimnissen wollte ich auf die Spur kommen und selbst so souverän werden.

jameda: Was macht Ihnen im Praxisalltag am meisten Freude? Wo sehen Sie die größten Herausforderungen?
Frau Dr. Baisse: Die meiste Freude macht mir das tägliche ‘Detektiv-spielen’, wie ich immer sage. Bekannte und unbekannte Menschen erzählen mir Dinge, Erfahrungen, Erlebnisse und Symptome, ich sammle Spuren durch meine Untersuchungen und finde die Lösung des Rätsels, zumindest ist das mein Ziel. Ich erkläre meinen Lösungsweg, aber auch gemeinsam mit den Patienten versuche ich einen praktikablen Weg zu erarbeiten.
Meine Arbeit ist somit sehr abwechslungsreich, voller Anregungen und Impulse. Ich darf das Vertrauen von Schwangeren, Babys, Kindern, Erwachsenen, Männern, Frauen, alten Menschen und sterbenden Menschen genießen und die größte Herausforderung ist es, diesen Individuen respektvoll, individuell, in ihrer Sprache und auf Augenhöhe zu begegnen und ihr Vertrauen nicht zu enttäuschen. Die Herausforderung ist es, verständlich zu sprechen, zu fragen und zu erklären und jemanden auf einen für ihn guten Weg zu bringen und ihn dabei dann auch weiterhin zu begleiten. Wenn Patienten in schwersten Zeiten sehr herausfordern agieren sowie reagieren und auch die Provokation suchen, dann gilt es jedoch Ruhe zu bewahren und die Situation wieder in strukturierte Bahnen zu bringen.
Das Gleichgewicht im Leben zu bewahren oder wiederzufinden ist sehr schwierig in diesen unruhigen Zeiten, in der die Gesellschaft sich so wandelt.

jameda: Welchen Vorurteilen begegnen Sie häufig in Ihrer Praxis?
Frau Dr. Baisse: Leider sind viele Menschen schon von Ärzten oder auch von unserem Gesundheitssystem enttäuscht worden. Da gilt es, unglücklich gelaufene Ereignisse zu erläutern, nochmals durchzusprechen und beim Verarbeiten zu helfen und zu unterstützen oder auch mal, etwas einfach anzunehmen und sich nicht unterkriegen zu lassen. In jeder Branche gibt es schwarze Schafe und auch wir Ärzte machen Fehler. Ich habe ebenfalls schon Fehler gemacht, denn auch ich bin ein Mensch und lerne jeden Tag dazu. Ehrlicherweise lernt man ja am besten aus ‘Fehlern’, wobei das Wort sehr negativ besetzt ist. Manchmal sind es wohl eher unglückliche Umstände oder Zufälle.
Diese können aber im Nachhinein auch zu einem guten Ergebnis durch einen Lerneffekt führen, auf beiden Seiten, für den Arzt sowie den Patienten. Dass ich eine Frau und noch nicht grauhaarig bin, führt manchmal zu dem Vorurteil, ich wäre noch zu unerfahren oder eine Frau wäre vielleicht nicht so ein guter Arzt wie ein Mann. Anfangs hatte ich in meiner Praxis auch mehr weibliche Patienten, das hat sich jetzt sehr gut ausgeglichen. Und meist erledigt sich dieses Vorurteil nach wenigen Sätzen und ‘sogar’ der ‘ältere Manager-Patiententypus’ vergisst, welchem Geschlecht man angehört. Eher umgekehrt finde ich es noch diskriminierend, wie teilweise ältere männliche Kollegen auf mich als jüngere Kollegin reagieren, da braucht es doch ein paar taffere Aussagen und Fakten meinerseits, um mir Respekt zu verschaffen.
Das bleibt inzwischen nun auch eher die Seltenheit, männliche Kollegen und Chefärzte, die schon länger mit mir zusammenarbeiten, schätzen meine Multitasking-Kompetenz als Ärztin und Mutter sehr.

jameda: Manche Krankheiten und Therapien sind unangenehm und verlangen viel Durchhaltevermögen vom Patienten. Was raten Sie Patienten in solchen Situationen?  
Frau Dr. Baisse: Man kann da nur Gutes tun, und ich tue einfach alles, damit Therapien nicht unangenehm sind und die Patienten sich auf die Termine hier freuen. Das beginnt von einer Tasse Tee, geht über eine nebenbei laufende hot stone Therapie, eine Gesichtsmassage neben einer Infusion oder von Akupunktur bis zu einem gutem Gespräch mit ein bisschen, manchmal auch schwarzem Humor. Und für die Kinder ist immer genug Spielzeug und eine Belohnung vorhanden. Das lenkt alles sehr gut ab.
Gerade hat mich ein Patient gefragt, ob er auch eine Infusion erhalten hat oder nur Blut abgenommen bekommen hat. Es lief eine Infusion, er hat es gar nicht bemerkt…
Meine Patienten wissen, dass auch, wenn sie parallel in einem Krankenhaus behandelt werden müssen, z.B. mit einer Chemotherapie, dass sie hier noch eine gute Basisversorgung bekommen, die alles so erträglich macht, wie es eben geht und dass ich sie begleite und so gut es geht für sie da bin.

jameda: Wie reagieren Sie, wenn Sie merken, dass ein Patient Ihren Therapieplan nicht befolgt? Frau Dr. Baisse: Ich spreche den Patienten einfach darauf an, ganz offen und ehrlich und eigentlich ist es auch so, dass ich gleich von Anfang an betone, dass, wenn eine Therapie für jemanden nicht praktikabel ist, mir dies auch mitgeteilt wird.
Was hat denn die beste, evidenz-based Therapie nach Leitlinien für einen Sinn, wenn der Patient diese ablehnt oder nicht durchführt? Da muss man einfach kompromissbereit sein und das Beste draus machen.

jameda: Wenn Sie das Gesundheitssystem ändern könnten, was würden Sie als Erstes tun?
Frau Dr. Baisse: Die Gebührenordnung ändern. Die Abrechnung von Gesprächen, und deren Bedarf steigt enorm, und gestaltet sich äußerst schwierig. Auch alternative Therapiemethoden lassen sich nicht entsprechend abrechnen. Ebenso Auslagen, die ich vermehrt durch verbesserte Hygienemaßnahmen habe, kann ich nicht abrechnen, obwohl die Patienten dafür gerne bezahlen würden.

jameda: Kein Mensch ist perfekt. In welchen Bereichen haben Ärzte Ihrer Meinung nach Verbesserungspotential?
Frau Dr. Baisse: Ich persönlich sehe bei mir weiterhin Optimierungspotential im Bereich des networkings, von der Kollegenseite könnte ebenfalls eine verbesserte interdisziplinäre Zusammenarbeit wünschenswert sein, auch innerhalb eines Zentrums oder Krankenhauses.

jameda: Die Welt der Medizin verändert sich ständig. Gibt es neue Therapieverfahren oder Gerätschaften, die Sie in Ihrer Praxis anwenden?
Frau Dr. Baisse: Ich habe immer ein offenes Ohr für neue Therapieverfahren oder Diagnosegeräte. Allerdings ist es auch eine Herausforderung, die Gebiete, die man anbietet zu perfektionieren. Homöopathie ist ein riesiges Feld, ebenso die Akupunktur, auch in der Schmerztherapie und im Bereich der Ernährungsmedizin kann ich mich, glaube ich, mein Leben lang austoben und täglich Neues, neue Therapieschemata und -verfahren entdecken. Die Basis darf nicht außer Acht gelassen werden und man kann sich so leicht in immer Neuem verlieren. Meine Geräte sind von hoher Qualität und werden ständig überprüft.

jameda: Gibt es einen Patienten oder ein Erlebnis in Ihrer Praxis, das Sie nie vergessen werden? 
Frau Dr. Baisse: Mir fallen viele Geschichten ein, die Bücher füllen könnten. Viel dokumentiere ich gar nicht, ich weiß von vielen Menschen Details und Kleinigkeiten, die diesen wichtig sind.
Ein älterer Herr geht immer dienstags spazieren und kann alle Vogelstimmen bestimmen, andere skypen immer freitags um 17h mit ihrem Sohn in Spanien. Ein kleines Mädchen, welches ich schon seit ihrer Zeit im Bauch ihrer Mama kenne, rennt, wenn sie hier ist wegen einem Schnupfen o.ä., mit einem Juchzen auf mich zu und springt mir auf den Arm. Eine sehr alte, über 90-jährige Dame kam lange von weit her, um von mir behandelt zu werden, sie vertraute mir, legte gleich nach der Begrüßung voller Vertrauen Brille und beide Hörgeräte ab, legte sich auf die Liege und ließ alles mit sich machen und sprang dann wieder auf, um wieder ihr Leben locker, leicht zu genießen…das alles werde ich niemals vergessen.

jameda: Welchen Gesundheitstipp möchten Sie unseren Lesern mit auf den Weg geben?
Frau Dr. Baisse: Verlieren Sie nie das Lächeln auf den Lippen, alles Schlechte hat irgendwie sein Gutes und irgendeinen Sinn. Gutes passiert nur, wenn man Gutes tut.

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