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Die körperliche Entwicklung ist nie völlig symmetrisch, die linke und die rechte Körperhälfte sind keine Spiegelbilder. Allen bekannt ist eine Links- bzw. Rechtshändigkeit, eine Bevorzugung eines Beines zum Stand und zum Absprung, das sogenannte Stand- und Sprungbein. Allerdings gibt es häufig auch Symmetriestörungen bei Kindern.

Die erworbene Schiefhaltung

Bei den erworbenen Schiefhaltungen gibt es vorübergehende wie z.B. der akute Schiefhals, ausgelöst durch falsche Lagerung oder entzündliche Veränderungen der Muskulatur, der kleinen Wirbelgelenke und nach Infekten des Nasen-Rachen-Raumes. Darüber hinaus kommt es zu Funktionsstörungen, sogenannten Blockaden, im Bereich der HWS. Auch rheumatische Erkrankungen, latentes oder deutliches Schielen sowie eine einseitige Hörstörung begründen oft die erworbene Schiefhaltung des Kopfes. Des Weiteren gibt es ein genetischbedingtes schiefes Wachsen der Wirbelsäule, die sogenannte Skoliose.

Die angeborene Schiefhaltung

Säuglinge zeigen früh eine teils geringe, oft jedoch auch deutliche Asymmetrie. Hierbei unterscheiden wir zwischen Formasymmetrie (z.B. einseitige Arm-/ Beinverkürzungen) und Lageasymmetrie. Diese stellen bei weitem die häufigste Form der Schiefheit dar. Auffallend sind häufig eine Verbiegung des Rumpfes, eine ständig asymmetrische Haltung der Arme oder Beine sowie eine Schiefhaltung des Kopfes, ggf. mit Verformung. In der jüngeren Vergangenheit ist die Diagnose „KISS-Syndrom“ in Mode gekommen. Hierbei handelt es sich um Funktionsstörungen der Halswirbelsäule, die wir später noch näher erläutern, die eine Schiefhaltung des Säuglings begründen.
Die Ursachen für ein schiefes Kind können jedoch vielfältig sein und es bedarf einer sorgfältigen Analyse, bevor eine Therapiemaßnahme ergriffen wird.

Ursachen für einen schiefen Säugling können sein:

  • durch Zwangshaltungen in der Gebärmutter bedingte Lageabweichungen
  • knöcherne Fehlformen der HWS (z.B. Klippel-Feil-Syndrom), die zu einer knöchern bedingten Fehlstellung führen
  • Lähmungen (schlaff oder spastisch) aufgrund von nervalen oder Gehirnschädigungen z.B. durch Sauerstoffmangel, Blutungen o.ä.
  • Funktionsstörungen/ Verletzungen des Kopfnickmuskels
  • Störungen der Augenmotorik im Sinne eines latenten Schielens
  • Störungen des Gleichgewichtsorganes
  • Einseitige Störungen der Gehörfunktion
  • Funktionelle Störungen der HWS-Beweglichkeit

Daraus folgt eine Schiefhaltung des Kopfes geringer bis ausgeprägter Form folgen, mit oder ohne körperlicher Schiefhaltung.

Symptome bei angeborener Schiefheit

Die Symptome bei angeborener Schiefheit können sehr dezent sein und lassen sich häufig nur durch gezieltes Suchen nach Symptomen erkennen.
Aufmerksam sollte man werden, wenn

  • das Kind eine einseitig bevorzugte Blockrichtung und Drehung des Kopfes aufweist
  • die Mutter beim Stillen bemerkt, dass eine Brustseite bevorzugt wird und auf der anderen Seite oft Trinkstörungen auftreten.
  • im Bereich des Hinterkopfes einseitiger Haarabrieb auffällt.
  • bereits bei der Geburt oder später durch einseitige Lage begründete Schädeldeformitäten mit einseitiger Abflachung des Hinterkopfes und spätere deutliche Schädelverformung mit Gesichtsverformungen auftreten.
  • bei der Spontanbewegung der Arme und Beine konstante asymmetrische Bewegungsmuster auffallen.
  • diese ergänzenden Symptome auftreten: Reifungsprobleme, Schlafstörungen, häufiges Schreien, stereotype Kopfbewegungen, übermäßiges Sabbern, häufiges Erbrechen. Gelegentlich hängen diese Symptome mit angeborener Schiefheit zusammen, sind jedoch nicht aussagekräftig für die Diagnosestellung.
  • bei Kindern und Jugendlichen neben einer Kopfschiefhaltung ein Schulterschiefstand mit Neigung zur Seite sowie ein Beckenschiefstand vorhanden ist.
  • es beim Vornüberbeugen zu einer Wulstung seitlich der Wirbelsäule, in der LWS als Lendenwulst oder im Bereich der BWS als Rippenbuckel kommt. Dies ist Hinweis auf eine Wirbelsäulenverkrümmung.
  • die Seitneigung des Rumpfes asymmetrisch ist.

Eine ausführliche Diagnostik

Zur Diagnosestellung ist zunächst eine ausführliche Anamnese erforderlich. Für den Arzt ist es notwendig zu wissen, ob:

  • es sich um eine Spontangeburt handelt
  • Schwierigkeiten gab (Zangengeburt o.ä.)
  • das Kind sofort nach der Geburt Auffälligkeiten zeigte oder später
  • es Probleme während der Schwangerschaft gab (z.B. Virusinfekt der Mutter).

Hiernach erfolgt die Inspektion des Kindes. Dabei wird insbesondere auf die Spontanbewegungsmuster der Arme und Beine geachtet: sind hier Auffälligkeiten durch ein steifes, verkrampftes Bewegen eines Armes oder Beines erkennbar, sind überwiegend schlaffe Bewegungen oder eine Bewegungslosigkeit vorhanden? Sowohl eine deutlich erhöhte Muskelspannung als auch eine erniedrigte Muskelspannung können Hinweise für eine Schädigung des Nervensystems mit verborgenen Lähmungen oder Spastiken sein. Die Augenbeweglichkeit, insbesondere bezüglich des Schielens sowie die Augenöffnung wird bewertet. Dreht das Kind das Köpfchen beidseitig, neigt es bevorzugt zu einer Seite, wird der Rumpf gerade oder verbogen gehalten?

Nach dieser Inspektion erfolgt die manuelle Untersuchung. Hierbei werden zunächst die Schädelform und der Kopfnickmuskel abgetastet. Anschließend prüft der Arzt die Wirbelsäule sowie die Beweglichkeit. Erst jetzt findet die segmentale manualtherapeutische Untersuchung der einzelnen Wirbelgelenke statt, besonders des oberen Kopfgelenks.

Zum Abschluss erfolgt eine Überprüfung der altersentsprechenden stato-motorischen Entwicklung, d.h. es werden Bewegungsmuster und Reflexmuster überprüft, die altersgemäß typisch sind. Finden sich Auffälligkeiten im Bereich der Wirbelsäule oder im Bereich der Muskulatur, sind ergänzende bildgebende Maßnahmen erforderlich. Für die Diagnose von muskulären Erkrankungen, z.B. einer Schädigung des Kopfnickmuskels, eignet sich eine Ultraschalluntersuchung. Bei Funktionsstörungen der Wirbelsäule, insbesondere der HWS, müssen knöcherne Fehlentwicklungen der HWS (Keilwirbel, gewachsene Wirbel oder Fehlformen) ausgeschlossen werden. Dies geschieht durch eine speziell auf den Säugling abgestimmte und mit einem hohen Schutz versehene Röntgenaufnahme der Halswirbelsäule.

Sollten bei der kinderorthopädischen Untersuchung Auffälligkeiten auftreten, die eine spastische oder schlaffe Lähmung bzw. eine Schädigung des Gehirns vermuten lassen, so muss eine kinder-neurologische Untersuchung ergänzt werden. Bei Augensymptomen bzw. Verdacht auf eine Gehörstörung folgt eine augenärztliche bzw. HNO-ärztliche Untersuchung.

Therapiemöglichkeiten

Auf jede der Diagnose folgt eine andere Therapie.

  1. Lagebedingte Schiefhaltungen des Kopfes sind durch einseitiges Ansprechen des Kindes, z.B. durch gegenseitiges Füttern, Ansprechen und Erwecken der Aufmerksamkeit des Kindes sowie durch adaptierte Lagerung einfach und schnell zu behandeln.
  2. Schädigungen des Kopfnickmuskels werden durch ein konsequentes asymmetrisches Ansprechen und Aufmerksamkeit erregen des Kindes sowie durch eine konsequente krankengymnastische Behandlung therapiert. Diese Behandlung muss konsequent bis zur Ausheilung erfolgen. Chirotherapie, Osteopathie, Halsorthesen o.ä. sind hier nicht erforderlich.
  3. Ist es bis zum Ende des 1. Lebensjahres zu keiner deutlichen Regulierung der Muskelspannung des Kopfnickers gekommen, d.h. besteht eine weiterhin derbe Verkürzung einseitig, so erfolgt ein minimal chirurgischer Eingriff im Bereich des Ansatzes des Muskels. Dieser löst die einseitige Spannung, sodass der Kopf in eine Mittelstellung positioniert wird. Der Eingriff erfolgt um den 12. Lebensmonat.
  4. Bei knöchernen Fehlformen, d.h. Keilwirbeln, Verwachsungen der knöchernen Strukturen oder schweren Fehlformen kann die Ursache nicht vollständig beseitigt werden. Der Arzt muss die Eltern aufklären, dass auch nach Wachstumsabschluss eine mehr oder minder starke Schiefhaltung verbleibt.
  5. Schwerste Formen wie z.B. das Klippel-Feil-Syndrom, bei dem es zu einer Vielfalt von Fehlentwicklungen im Bereich der HWS und des Überganges zur BWS kommt, können durch operative Eingriffe teilweise korrigiert werden. Eine begleitende krankengymnastische Vergleichstherapie ist erforderlich.
  6. Schlaffe Lähmungen und spastische Lähmungen bedürfen einer überwiegend neurophysiologischen Krankengymnastik sowie ggf. ergänzende Hilfsmittel und Orthesenausstattung sowie eine kontinuierliche, je nach Ausprägung der Schädigung, oft während des gesamten Wachstums notwendigen Therapie.

Die kopfgelenkinduzierte Symmetriestörung (KISS)

Bei den Segmentfunktionsstörungen der HWS z.B. bei einem KISS-Kind (KISS = kopfgelenkinduzierte Symmetriestörung) handelt es sich um eine häufige Erkrankung. Überwiegend durch Krafteinflüsse während der Geburt oder kurz nach der Geburt kommt es zu einer Funktionsstörung, insbesondere in den oberen, sogenannten Kopfgelenken. Dies wird als Blockade bezeichnet. Bei diesen Kindern ist eine manualtherapeutische Behandlung des Kopf-Hals-Überganges bzw. der Kopfgelenke unabdingbar. Hierbei ist es wichtig, dass ein sogenanntes „Einrenken“ der HWS beim Säugling verboten ist! Es werden spezielle, auf den Säugling abgestimmte sanfte Impulstechniken angewendet, diese sind für das Kind schmerzfrei und gefahrlos. Die bekanntesten Behandlungsformen sind die Atlasbehandlung nach Arlen und die Behandlung nach Dr. Gutmann.

Ergänzend erfolgt ein adaptiertes Handling durch die Eltern sowie eine kontinuierlich adaptierte krankengymnastische Schulung mit Balancierung des Muskeltonus. Verformungen des Kopfes, sogenannte Schädeldeformitäten, sind häufig begleitende Symptome. Diese werden durch die einseitige Druckbelastung, die Haltung des Kopfes und die Krafteinwirkung auf den weichen Kopf begründet.

90% aller Schädeldeformitäten des Säuglings heilen spontan unter adäquater Behandlung aus. Schwere Verformungen, die insbesondere auch eine Gesichtsasymmetrie mit einschließen, bedürfen ergänzender Lagerungshilfsmittel. Die Vermessung des Kopfes wie der 3D-Kopf-Scan oder die Planimetrie des Kopfes bringen Hinweise, ob weitergehende Hilfsmittel z.B. sogenannte Kopforthesen (=Helm) erforderlich sind. Dies ist bei weniger als 5% der Kinder notwendig. Eine leichte und mittlere Schädeldeformität heilt ohne oder mit Helm aus.

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