Immer wieder kommen Patienten in meine Praxis, die von einer Behandlung der Halswirbelsäule profitieren würden. Sie haben Bewegungseinschränkungen in den kleinen Wirbelgelenken der Halswirbelsäule, daraus resultierend Verspannungen und Sekundärsymptome wie Schwindel bzw. Gleichgewichtsstörungen. Auch Missempfindungen oder Schmerzen der Arme sind nicht selten berichtete Symptome.
Blockaden der HWS sind, je nach ganzheitlicher Philosophie, noch mit anderen funktionellen Störungen assoziiert, unter anderem Beeinflussung des Zwerchfelltonus oder Atembeschwerden, Herzstolpern oder Symptomen des Verdauungstraktes.
Was viele Patienten ängstigt, ist die Vorstellung einer "ruckartigen" Behandlung im Sinne einer chiropraktischen Manipulation. Sie denken, dass ein Wirbel dabei von einer Fehlstellung in die "richtige" Position geschoben wird, allerdings mit einem nicht unerheblichen Maß an Kraft.
Doch diese Vorstellung könnte nicht weiter von der Realität entfernt sein.
Funktionelle Störungen oder "Blockierungen" der Wirbelgelenke zeichnen sich durch einen Verlust der Beweglichkeit an der Wirbelsäule aus. Das heißt, der betreffende Knochen, z. B. ein Halswirbel, bewegt sich im Rahmen seiner gegebenen Bewegungsmöglichkeiten wie Rotation, Beugung, Streckung oder Seitneigung nicht mehr im vollständigen Umfang.
Meist sind eine oder zwei Bewegungskomponenten deutlich eingeschränkt, während sich andere Dimensionen noch leidlich bewegen. Auch ist zumeist eine Richtung, z. B. in der Rotation, deutlich freier als die "blockierte" Richtung.
Wodurch dieser Verlust an physiologischer Bewegungsmöglichkeit eintritt, ist bisher nicht wirklich bekannt. Wichtig zu wissen ist, dass es sich um ein funktionelles Phänomen handelt: Strukturelle Ursachen wie Formveränderungen des Wirbels oder Bandscheibenschäden sollten ausgeschlossen sein. Diese gehen jedoch in der Regel mit charakteristischen Symptomen einher, die weit über den Verlust an Beweglichkeit hinausgehen.
Wenn eine Blockade der Halswirbelsäule vorliegt, ist also nicht etwa ein Wirbel "verschoben" und wird wieder an den richtigen Ort platziert. Stattdessen ist eine Bewegungsmöglichkeit in eine der naturgegebenen Bewegungsrichtungen eingeschränkt und wird durch die Behandlung wieder ermöglicht.
Nebenwirkungen der chiropraktischen Manipulation an der HWS. (© gbh007 - iStock)
Dass chiropraktische Manipulationen mit kleinem Weg und hoher Geschwindigkeit dabei eine ausgezeichnete und nebenwirkungsarme Rolle spielen, sollte angesichts folgender Zahlen klar werden: 203 Manualmediziner aus der Schweiz, die in 33 Jahren über 2.268.000 Manipulationen, davon allein in der HWS 1.535.000, ausgeführt haben, meldeten nur 1.408 Komplikationen, davon 1.255 bei der HWS. Wobei die Komplikationen bei 1.218 Fällen kurzzeitigem Schwindel darstellten (Dvorak & Orelli).
Gutmann befragte wiederum 55 manualtherapeutisch tätige Ärzte in der BRD und kam auf hochgerechnet zwei schwere, fünfzehn mittelschwere und acht leichte Nebenwirkungen auf 1.000.000 Behandlung der HWS.
Der Manualmediziner Wolff hingegen berechnete, dass unter Erfassung der literaturmäßig angeführten Zwischenfallbilanz und vergleichbar hoher Dunkelziffer mit einer schweren Nebenwirkung auf 1.000.000 Behandlungen zu rechnen sei.
Ergänzend zu diesen wissenschaftlichen Befragungen sei anzumerken, dass die Auswahl des Patienten wie immer der entscheidende Punkt zur Risikominimierung ist.
Sämtliche Risikofaktoren wie Alter, Osteoporose, Bluthochdruck, Einnahme von Kortison etc. sind als Kontraindikation streng zu bewerten. Das Risiko einer chiropraktischen Manipulation, so sie denn fachlich gut gemacht ist, driftet so ins gänzlich Unwahrscheinliche.
Hier sei auch noch einmal auf die Wichtigkeit einer fundierten Ausbildung hingewiesen. Sie sollte auch noch durch Übung und regelmäßige Fortbildung in diesem Bereich ergänzt werden.
Für Patienten wie für interessierte Mediziner ergibt sich somit folgendes Fazit: Eine fachlich ausgeführte chiropraktische Behandlung der HWS ist nebenwirkungsarm, risikoarm und kann eine funktionelle eingeschränkte Beweglichkeit der Halswirbelsäule schnell wieder herstellen.
Werden denn Osteoporose, Arthrose, Bandscheibenvorfälle etc. standardmäßig vorher ausgeschlossen? Nein. Es wird gesagt "Das haben wir gleich" und schon ist man im Schwitzkasten. Das Klinikum Großhadern in München allein sieht nach eigenen Angaben jedes Jahr rund 20 Patienten, die Schlaganfälle im Zusammenhang mit einer chirotherapeutischen Manipulation der Halswirbelsäule erleiden. Davon sind die meisten junge, vorher vollkommen gesunde Patienten. Würden die Chiropraktiker, wie es Vorschrift ist, angemessen über die Risiken aufklären, ginge ihre Patientenzahl drastisch zurück. Wegen eines "steifen Halses" riskiert niemand wissentlich einen Schlaganfall.