Artikel 25/06/2020

Das chronische Beckenschmerzsyndrom des Mannes (cBSS): Symptome, Ursachen & Therapie

Team jameda
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Beckenschmerzen werden als Schmerzen im Bereich unterhalb des Bauchnabels und oberhalb der Beine wahrgenommen.

Die Symptome können individuell sehr unterschiedlich ausfallen. Dabei können die Beschwerden diffus und dumpf sein, manchmal auch stechend, krampfartig oder wellenartig in der Intensität schwankend.

Der Schmerz kann ein- und beidseitig auftreten und oft strahlen sie in die Leiste, Hoden, Beine oder Gesäß aus. Häufig sind die Schmerzen nicht eindeutig lokalisierbar. Die Symptome können sowohl bei Männern als auch Frauen auftreten.

Wenn die Beckenbeschwerden in einem Zeitraum von über sechs Monaten immer wieder auftreten, werden sie als chronische Beckenschmerzen bezeichnet. Hierfür ist es nicht erforderlich, dass die Beckenschmerzen dauerhaft oder jeden Tag verspürt werden.

Vor der Diagnose eines cBBS müssen vorher andere ursächliche krankhaften Veränderungen im Becken wie Gewächse und Entzündungen ausgeschlossen werden.

So werden die Symptome beschrieben

Typisch sind die phasenweise auftretende Beschwerden über Tage oder Wochen mit anhaltenden Missempfindungen (Druck, Ziehen, oder Brennen) im Bereich des Beckens/Unterbauches, die in die Leisten/Hoden sowie in die Oberschenkelinnenseite ausstrahlen können.

Nicht selten sind die Hoden druckempfindlich. Charakteristisch ist ferner die Ausstrahlung der brennend oder stechend beschriebenen Schmerzen – meist unabhängig vom Wasserlassen – bis in die Penisspitze.

Weiterhin kann sich der Schmerz im Dammbereich (zwischen After und Hodenansatz) als Druck oder Fremdkörpergefühl bemerkbar machen. Das Beschwerdebild kann alle oder nur einzelne der oben beschriebenen Symptome beinhalten.

Meist treten die Beschwerden bewegungsunabhängig in Ruhe auf (sitzen, liegen, stehen). Bei körperlicher Anstrengung verschwinden sie häufig, solange kein Druck auf die Hoden oder Dammregion ausgeübt wird („Fahrradfahren“).

Manchmal projizieren sich die Missempfindungen in die Blase und Harnröhre und werden als Harndrang fehlgedeutet. Die Betroffenen versuchen dieses irritierende Gefühl durch ständiges Wasserlassen loszuwerden, was jeweils aber nur eine kurze Erleichterung bringt. Kennzeichnend sind auch die Beschwerden während der Kohabitation und dem Orgasmus/Ejakulation.

Wie häufig kommt die Erkrankung vor?

Da die Beschwerden stark wechselnd sind und häufig mit Miktionsauffälligkeiten einhergehen, erhalten nicht alle Betroffene einer korrekten Diagnose. Häufig werden wiederholte antibiotische Therapien unter dem Verdacht einer chronisch-rezidivierenden Infektion von Prostata oder Harnblase durchgeführt.

Die diagnostische Schärfe zwischen bakterieller und nicht bakterieller Prostataentzündung und dem nichtentzündlichen cBSS ist nicht vorhanden. In einer repräsentativen deutschen Bevölkerungsstichprobe (2012) wurde ein Anteil urogenitaler Schmerzen bezogen auf einen einwöchigen Zeitraum mit 9,6 % gefunden. In den USA (2013) wird der Anteil des cBSS mit 2-4 % angegeben.

Das sind die möglichen Ursachen

Die der cBSS zugrunde liegenden pathophysiologischen Mechanismen sind unklar. Es werden aktuell verschiedene Ursachen diskutiert:

  • Infektion auch ohne Erregernachweis
  • Blasenentleerungsstörung
  • Störung des Immunsystems
  • interstitielle Zystitis und neuropathischer Schmerz
  • Verspannungszustände der Beckenmuskulatur
  • psychosomatische Komponenten

Man muss davon ausgehen, dass mehrere Faktoren eine Rolle spielen. Dabei können folgende Mechanismen beteiligt sein:

  • Bei einem Teil der Patienten mit entzündlichen Veränderungen und ohne Keimnachweis findet man prokaryonte DNS-Sequenzen. Das könnte darauf hindeuten, dass in der Prostata nicht kultivierbare Mikroorganismen als Infektionserreger infrage kommen.
  • Bei Betroffenen wurde ein Verschluss der Harnröhren beschrieben. Eine unzureichende Entspannung des Blasenhalses beim Wasserlassen führt dazu, dass Urin in die Prostatakanälchen zurückfließt. Dabei entsteht eine chemisch bedingte Entzündung der Prostata, wobei Bodenstoffe freigesetzt werden, die unter anderem die Schmerznervenfasern stimulieren könnten.
  • Weitere Studien zeigten erhöhte Werte von entzündungsfördernden Zytokinen und erniedrigte Spiegel von entzündungshemmenden Zytokinen. Das weist auf mögliche Autoimmunprozesse hin.
  • In einer unbestätigten Arbeit testete eine amerikanische Studiengruppe Patienten mit cBSS in der Blase positiv auf Kalium-Sensitivität. Das kann auf eine interstitielle Zystitis (IC) hinweisen. Die Forscher schlossen daraus, dass sowohl cBSS als auch IC eine Funktionsstörung der Schleimhaut des Harntraktes zugrundeliegen.
  • Es gibt experimentelle Hinweise für eine Achse zwischen sensorischen Nerven und Mastzellen als Mechanismus des Schmerzes. Nervenstrukturen sind bei der tierexperimentellen Prostatitis in engster Nachbarschaft zu Prostatadrüsen nachgewiesen worden.
  • Eine vegetative Dysregulation ausgelöst durch emotionalen Stress, der häufig noch durch die Beunruhigung über das schwer einzuordnende Beschwerdebild verstärkt wird. Es kommt zu einem anhaltenden unwillkürlichen erhöhten Muskeltonus im Becken, bei dem sich die Beckenmuskulatur verspannt. Des Weiteren entstehen Blutfälle der Beckengefäße. Über irritierte Nerven werden diese Beschwerden als Schmerz/Druck weitergeleitet.

Die Beschwerden wie auch die vermutete Pathogenese umfassen sowohl im Unterbauch gelegene Organe und Strukturen als auch psychische Einflussfaktoren. Dieser Komplexität wird mithilfe eines multifaktoriellen Modells Rechnung getragen, das ein Zusammenspiel aus infektiologischen, urogenitalen, neurologischen und psychologischen Faktoren beachtet.

Mit dem „UPOINT“-System findet das eine konzeptionelle Umsetzung zur Klassifikation und ist in den aktuellen europäischen Leitlinien der urologischen Fachgesellschaft verankert (siehe Abbildung).

So läuft die Diagnose ab

Die Diagnose ist letztlich eine Ausschlussdiagnose. Es müssen Erkrankungen der Beckenorgane wie Infektionen, Tumoren oder funktionelle Störungen ausgeschlossen werden.

Hierzu sind neben einer umfassenden Anamnese auch validierte Fragebögen hilfreich. Mikrobiologische und laborchemische Untersuchungen ergänzen die klinische Untersuchung neben einer Bildgebung der Beckenorgane.

Auch funktionelle Untersuchungen wie eine Harnstrahlmessung mit Restharnbestimmung oder Blasendruckmessung (Zystomanometrie) können zielführend sein. Grundsätzlich ist es sinnvoll, sich zur Untersuchung bei mit diesem Krankheitsbild vertrauten Ärzten vorzustellen.

Wie läuft die Therapie ab?

Das „chronische Beckenschmerzsyndrom“ stellt für die Behandlung eine große Herausforderung dar. Funktionelle Beschwerden werden zunehmend als Auslöser diskutiert. Verschiedene somatische aber auch psychische Phänomene führen multifaktoriell zu den Beschwerden.

Die „eine“ gesicherte, evidenzbasierte Therapie existiert bis dato nicht. Vielmehr müssen unter Beachtung der potentiellen Beschwerdeauslöser und der Symptome, mehrschichtige und auf den Patienten individuell abgestimmte Therapiestrategien verfolgt werden.

Physikalische Maßnahmen

Unmittelbare Wirkung zeigt Wärme (Wärmflasche/heißes Sitzbad/Sauna) und vermehrte Bewegung, wobei hier Druck auf den Damm (z. B. Fahrrad fahren) zu vermeiden ist. Wenn die Wärme die Beschwerden signifikant lindert, wird die Diagnose bestärkt.

Wenn sich die Beckenbodenmuskulatur überspannt, entstehen leicht Schmerzen ähnlich einem diffusen Ziehen der Nerven, nervalen Überreizungs- oder Druckgefühls sowie Brennens im Beckenbereich. All diese diffusen Störgefühle bis hin zu Schmerzen sind – wenn keine entzündlichen Prozesse vorliegen – häufig die Folge einer zu massiven Spannung der Beckenmuskulatur und der assoziierten Muskeln.

Durch gezielte myofasciale Muskel- und Dehntechniken lassen sich diese Probleme normalisieren. Gezieltes Erlernen der Entspannung der Beckenbodenmuskulatur gehört ebenso zur dieser Therapie. Die Behandlung sollte zu Beginn zwei bis drei Mal wöchentlich von einem Osteopathen durchgeführt werden. Im Verlauf der Behandlung erlernt der Patient Techniken und Übungen, um selbständig weiterzuarbeiten.

Entspannungstechniken (z. B. Yoga, oder Psychotherapie) und gezielte körperliche Aktivität (Physiotherapie) unterstützen den Therapieerfolg. Reizstromtherapie und Biofeedbackbehandlung können unterstützend bei einzelnen Patienten sinnvoll zum Einsatz kommen.

Medikamentöse Behandlung

Pflanzliche Präparate enthalten einen Komplex aus Hyaluronsäure, Kürbissamen, Weihrauch und Sand-Strohblume. Angewendet wird das Medizinprodukt in Zäpfchenform.

Hyaluronsäure soll die Gewebeelastizität erhöhen und dadurch die Einwanderung von Zellen, wie Makrophagen und Fibroblasten, erleichtern. Sie sollen dafür sorgen, dass sich das das druck- und schmerzempfindliche Gewebe im Beckenbereich regenerieren kann.

Die lokale Therapie wird als initialer Behandlungszyklus für mindestens 30 Tage empfohlen. Es sollten pro Tag ein Zäpfchen bevorzugt abends vor dem Schlafengehen eingeführt werden.

Weiterhin können entzündungs- und schmerzhemmende Medikamente – sogenannte nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen, Diclofenac oder Etoricoxib – zeitweilig zur akuten Linderung der Beschwerden eingesetzt werden.

Psychologische Therapie

Es gibt Hinweise darauf, dass die Persönlichkeitsdimensionen und psychische Strukturen bei dem Krankheitsbild cBSS eine große Rolle spielen.

Insgesamt zeigten sich die cBSS-Patienten bei einer psychosomatischen Stichprobe (2015) hinsichtlich der gemessenen Persönlichkeitsaspekte nicht auffällig gegenüber den jeweiligen Normstichproben. Allerdings offenbart sich ein Zusammenhang zwischen der Steuerungsfähigkeit in Beziehungen sowie der subjektiven Schmerzwahrnehmung.

Diese Ergebnisse können die Betrachtungsweise des psychosozialen Faktors („P“ im UPOINT-System) mit Hinblick auf die psychodynamischen bzw. persönlichkeitsbezogenen Aspekte erweitern.

Insbesondere Subgruppen und Risikofaktoren müssen noch identifiziert werden, die dann für die Entwicklung von Indikationskriterien für eine spezifische psychologische Therapie genutzt werden können. Patienten mit cBSS können von einer Psychotherapie profitieren, insbesondere im Hinblick auf die subjektive Schmerzwahrnehmung.

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