Artikel 04/11/2016

Therapie der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit: Begleiterkrankungen oft unterschätzt

Priv.-Doz. Dr. med. Peter Heider Gefäßchirurg, Facharzt für Allgemeinchirurgie
Priv.-Doz. Dr. med. Peter Heider
Gefäßchirurg, Facharzt für Allgemeinchirurgie
periphere-arterielle-verschlusskrankheit-symptome

Sie verspüren bei Belastung schon seit längerem Beschwerden in den Beinen und eine Abklärung der Hüfte sowie der Wirbelsäule hat keinerlei krankhafte Veränderungen gezeigt? Sie sind Raucher und haben einen erhöhten Blutdruck oder Sie sind übergewichtig und haben erhöhte Cholesterinwerte? Sie leiden zudem an Diabetes und sind bereits über 55 Jahre alt? Dann kann es sein, dass Sie an einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (AVK) leiden.

Die milde Form wird auch als „Schaufensterkrankheit“ oder ‘claudicatio intermittens’ bezeichnet. Da diese Erkrankung potentiell lebensbedrohlich ist, sollte bei Verdacht eine Untersuchung von einem Gefäßspezialisten durchgeführt werden.

Was ist AVK und wie häufig kommt sie vor?

Der von Ratschow geprägte Begriff der „arteriellen Verschlusskrankheit“ umfasst alle arteriellen Durchblutungsstörungen, die durch verengende und verschließende Gefäßprozesse verursacht werden - unabhängig von deren Ätiologie und Lokalisation. Obwohl der Begriff „Schaufensterkrankheit“ harmlos klingt, ist es eine sehr ernst zu nehmende Erkrankung der Gefäße, die vorwiegend durch eine Arteriosklerose verursacht wird.

Jeder Zehnte über 55 Jahre hat eine AVK, wobei nur ein Drittel symptomatisch ist. Mit zunehmendem Alter steigt die Erkrankungswahrscheinlichkeit jedoch rapide an. Männer sind viermal häufiger betroffen als Frauen. Rund 7 % der betroffenen Patienten leiden unter einer claudicatio intermittens und etwa 1 % der Patienten hat eine kritische Extremitätenischämie mit schwerer Durchblutungsstörung.

Jährlich wird bei über 45000 Deutschen aufgrund einer irreversiblen Extremitätenischämie eine Beinamputation durchgeführt. Das Risiko für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall ist deutlich erhöht, die Lebenserwartung verringert sich um etwa 10 Jahre und die 5-Jahres-Mortalitätsrate von männlichen Patienten mit einer claudicatio intermittens beträgt dabei 5 - 24 %. Bei Patienten mit kritischer Extremitätenischämie beträgt die Mortalität entsprechend den Daten der BASIL-Studie sogar bis zu 20 % jährlich.

Obwohl die AVK die Markererkrankung für kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität ist, wird sie von Ärzten und Patienten unterschätzt. Patienten mit AVK sind hinsichtlich ihrer Risikofaktoren und Begleiterkrankungen unterbehandelt.

Krankheitsverlauf und Risikofaktoren

Durch bekannte Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes, Rauchen und Fettstoffwechselstörungen kommt es zu strukturellen Schädigungen der Gefäßwände. Als erstes ist die Innenschicht betroffen, im Verlauf entstehen aufgrund chronisch entzündlicher Gefäßwandprozesse Fetteinlagerungen und atherosklerotische Plaques. Diese Plaques engen schließlich das Lumen der Arterien ein. Bei Zunahme dieser Veränderungen kommt es schließlich zum thrombotischen Gefäßverschluss, was zu Durchblutungsstörungen der Beine, zum Herzinfarkt oder zum Schlaganfall führt.

Diabetes mellitus steigert das Risiko für eine claudicatio intermittens um das Doppelte. Nach Daten der getABI-Studie sind im Mittel 50 % der Diabetiker mit AVK nach 5 Jahren verstorben.

Auch Rauchen steigert das Risiko für eine AVK um das 2- bis 3-Fache. Nach Daten der Framingham-Studie ist das Risiko für eine AVK, unabhängig vom Alter, bei Rauchern doppelt so hoch wie für eine koronare Herzerkrankung. Die 5-Jahres-Inzidenz einer asymptomatischen AVK bei anfänglich gefäßgesunden Männern beträgt bei Nichtrauchern 5,9 % und bei Rauchern 18 %. Die Schwere der Erkrankung steigt unabhängig vom Geschlecht mit dem Zigarettenkonsum an.

Die Framingham-Studie weist ebenso darauf hin, dass die arterielle Hypertonie bei Männern ein 2,5-faches und bei Frauen ein 3,9-faches AVK-Risiko birgt. Treten die genannten Risikofaktoren wie Nikotinmissbrauch, Diabetes mellitus und Hypertonie gemeinsam auf, so steigt das Risiko für eine AVK deutlich an. Diese Daten konnten bereits in verschiedenen großen Studien bestätigt werden.

Einteilung der AVK

Der französische Chirurg Fontaine begründete im Jahre 1954 die noch heute - vor allem im deutschen Sprachraum - angewandte klinische Stadieneinteilung nach dem Schweregrad der Symptome:

  • Stadium I: Beschwerdefreiheit
  • Stadium II: belastungsabhängige Schmerzen:
    Dyspraxia intermittens der oberen Extremitäten
    Claudicatio intermittens der unteren Extremitäten
  • Stadium III: Ruheschmerz
  • Stadium IV: Gewebsuntergang mit Nekrosen oder Gangrän.

Diese klinische Stadieneinteilung wurde hinsichtlich der Claudicatio intermittens erweitert. So kann das Stadium II in zwei Untergruppen unterteilt werden:

  • Stadium IIa schmerzfreie Gehstrecke über 200 m
  • Stadium IIb schmerzfreie Gehstrecke unter 200 m

Parallel dazu ist vorwiegend im englischsprachigen Raum die Einteilung nach Rutherford gebräuchlich, wobei 6 Stadien genannt sind. 0 bis 3 entsprechen dabei den belastungsabhängigen Beschwerden, 4 bis 6 entspricht der kritischen Extremitätenischämie (Ruheschmerzen bis Nekrose).

Desweiteren kann die AVK nach Höhe der Verschlussregion eingeteilt werden:

  • Verengungen der Bauchaorta (distaler Aortenverschluss) können zu Durchblutungsstörungen beider Beine mit Schmerzen im Gesäßbereich beidseits führen, bei Männern außerdem zu Erektionsstörungen.
  • AVK vom Beckentyp (ca.30%): die Verengungen liegen im Beckenbereich. Ein Puls in schon der Leiste fehlend, einseitige Schmerzen in Gesäß und Oberschenkel sind typisch.
  • AVK vom Oberschenkeltyp: Etwa die Hälfte aller Fälle betreffen die Oberschenkelarterie (Arteria femoralis superficialis). Der Puls ist in der Kniekehle und am Fuß sind nicht mehr tastbar. Schmerzen bestehen hauptsächlich in der Wade.
  • AVK vom peripheren Typ (ca. 20%): Die Verengungen befindet sich in den Arterien des Unterschenkels und Fußes. Der Fuß ist pulslos und blass, die Fußsohle kann schmerzen.

Diagnostik und Therapie bei AVK

Bei Verdacht auf eine AVK ist die Frage nach typischen Beschwerden wie belastungsabhängigen Schmerzen in den Beinen und die Abklärung der Risikofaktoren relevant. Symptome wie Brustschmerzen und Brustenge unter Belastung können auf eine Koronare Herzkrankheit (KHK) hindeuten, die häufig mit der AVK vergesellschaftet ist. Potenzbeschwerden beim Mann können auf eine Gefäßerkrankung der Beckenarterien hinweisen.

Die klinische Untersuchung beinhaltet insbesondere die Inspektion der Zehen und Fußsohlen, um Verletzungen aufzuspüren, die Eintrittspforten für Bakterien darstellen. Die Lagerungsprobe nach Ratschow, bei der die Beine des Untersuchten etwa eine Minute hoch gelagert werden, zeigt bei einer Durchblutungsstörung eine Blässe.

Die Ermittlung des Knöchel-Arm-Index (Verschlussdruckmessung: Quotient aus dem am Unterschenkel und am Oberarm gemessenen systolischen Blutdruck) ist gemäß den Leitlinien für AVK eine zuverlässige Methode zur Abschätzung der hämodynamischen Situation.

Oszillografische Tests werden aufgrund der Ungenauigkeit der Verfahren mittlerweile nicht mehr durchgeführt. Die anschließende duplexsonografische Untersuchung der Arterien ist der Standard der nichtinvasiven Diagnostik. Hier wird der Blutfluss dargestellt, ebenso zeigen sich Gefäßveränderungen (Plaques) und relevante Engstellen (Stenosen).

Zur Therapieplanung kommt die Magnet-Resonanz-(MR-)Angiografie als wenig belastendes Verfahren zum Einsatz. Bei Schrittmacherpatienten oder Patienten mit relevanten Nierenfunktionsstörungen ist dieses Verfahren jedoch nicht möglich.

In diesem Fall wird dann eine CT-Angiografie durchgeführt, die insbesondere im Bereich der Brust- und Bauchschlagader, der Beckenarterien und der Oberschenkelarterien eine exzellente Bildgebung bietet. Aufgrund der Verwendung jodhaltiger Kontrastmittel sowie Röntgenstrahlung sollte der Einsatz aber immer genau überlegt sein.

Die digitale Subtraktionsangiografie bietet sowohl die Möglichkeit zur Diagnostik als auch zur Therapie.

Dabei spritzt der Arzt während der filmartigen Aufnahmesequenz ein Kontrastmittel in die Arterie und sieht sich die Darstellungen an. Engstellen oder Verschlüsse können dabei gleichzeitig mit Kathetern, Ballons, Stents oder speziellen Fräsen aufgedehnt oder wiedereröffnet werden.

Aufgrund immer besserer Materialien ist die interventionelle Therapie bei der Behandlung der AVK im Vormarsch. Die Gesamtzahl aller peripheren Ballonangioplastien ist von ca. 73.000 im Jahr 2005 auf ca. 130.000 im Jahr 2012 angestiegen, die Anzahl peripherer Bypassoperationen hat sich von ca. 43.000 auf ca. 39.500 verringert.

Die Anzahl endovaskulärer Therapien der akuten Extremitätenischämie hat sich von ca. 12.000 auf ca. 21.000 erhöht. Gleichzeitig konnte die Anzahl der Majoramputationen bei fortgeschrittener AVK seit 2005 um 32 % reduziert werden.

Sollte die kathetergestützte Revaskularisation nicht mehr möglich sein, findet eine klassische Operation statt. Die Wiederherstellung der Durchblutung erfolgt durch direktes Ausschälen der Verengungen (Thrombendarteriektomie), wobei das eröffnete Gefäß meist mit einem Kunststoffflicken abschließend verschlossen wird. Bei verschlossenen Arterien wird entweder eine körpereigene Vene oder ein Bypass aus Kunststoff (PTFE oder Dacron) zur Überbrückung der Durchblutungsstörung verwendet. Diese Bypässe können an nahezu allen Positionen im Körper angelegt werden.

Welche zusätzlichen Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

Bei allen Stadien der AVK ist die Behandlung der Risikofaktoren von großer Bedeutung. Besonders wichtig ist dabei die Einstellung des Nikotinkonsums, regelmäßige Bewegung und Gewichtsreduktion sowie die optimale medikamentöse Therapie von Diabetes mellitus, hohem Cholesterin und Bluthochdruck.

Bei symptomatischer AVK ist auch eine Thrombozytenaggregationshemmung (Verhinderung des Zusammenklumpens der Blutplättchen) mit Acetylsalicylsäure oder Clopidogrel angezeigt.

Nach neuesten Studien zeigt dabei Clopidogrel einen deutlichen Vorteil hinsichtlich Risiko und Nutzen im Vergleich zu Acetylsalicylsäure. In der Primärprävention, d.h. bei asymptomatischer AVK und bekannten Risikofaktoren zeigen Thrombozytenaggregationshemmer zwar eine Reduktion des Risikos für Schlaganfall und Herzinfarkt um etwa 18 %, steigern aber das Risiko für schwere Blutungen um bis zu 95 %.

Weitere Medikamente zur Verbesserung der Durchblutung werden bei fortgeschrittener AVK eingesetzt. Hier haben sich vor allem Prostaglandinderivate bewährt, welche die Blutgefäße erweitern und einen verbesserten Abfluss des Blutes auch über Kollateralen ermöglichen. Ebenso hemmen sie die Thrombozytenaggregation und verbessern die Plastizität der roten Blutkörperchen, um auf diese Weise leichter an einer Engstelle im Blutgefäß vorbeizufließen.

Fazit

Die periphere Arterielle Verschlusskrankheit ist in Deutschland immer noch eine unterschätzte Erkrankung, obwohl 3 - 10 % der Deutschen betroffen sind.

Da sie in engem Zusammenhang mit mehreren chronischen Erkrankungen steht, ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Hausärzten, Internisten, Diabetologen und Gefäßchirurgen  notwendig - nur so können Gefäßschäden behoben und das Fortschreiten verhindert werden!

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