Artikel 08/08/2011

Rückenschmerzen - Funktionelle ganzheitliche Diagnostik und Therapie von Kopf bis Fuß

Dr. med. Frank O. Steeb Orthopäde & Unfallchirurg, Sportmediziner, Chirotherapeut
Dr. med. Frank O. Steeb
Orthopäde & Unfallchirurg, Sportmediziner, Chirotherapeut
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Einleitung
In Deutschland klagt jeder 3. Patient in orthopädischen Praxen über Rückenbeschwerden. Unter den häufigsten Ursachen für Arbeitsausfallzeiten steht der Rückenschmerz an vorderster Stelle.

Das Symptom Rückenschmerzen
Rückenschmerzen sind wie alle Schmerzen ein Signal des Körpers dafür, dass etwas nicht stimmt. Die Beschwerden unter denen Patienten bei Rückenschmerzen klagen sind dabei vielfältig. Hierzu gehören u.a. Schmerzen im Bereich von Nacken, Schultern, Rücken und Becken, mit Verspannungen der Muskulatur, Bewegungseinschränkung bis zur Blockade oder Tragschwächensymptomatik. Ist ein vom Rückenmark abgehender Nerv gereizt, kann es zudem zu Empfindungsstörungen in Armen und Beinen oder zur Muskelschwäche bis hin zur Lähmung  kommen. Solche Nervenreizungen können z.B. durch einen Bandscheibenvorfall, eine Einengung des Spinalkanals oder eine Narbe nach einer Bandscheibenoperation ausgelöst werden.

Diagnose bei Rückenschmerzen
Die üblichen Untersuchungsmethoden bei Rückenschmerzen umfassen eine körperliche Untersuchung mit Überprüfung der Beweglichkeit, Klopf- und Stauchungsschmerz der Wirbelsäule, Überprüfung der sensiblen und motorischen Nerven, verschiedene bildgebende Verfahren wie Röntgen, Computertomographie (CT) oder Kernspintomographie (NMR) sowie neurologische Untersuchungen.

Daneben ist jedoch auch eine funktionelle Untersuchung der sensomotorischen Haltungskoordination und Muskeltonussteuerung empfehlenswert. Dabei wird zusätzlich zu einer sorgfältigen manuellen Untersuchung z.B. der Muskelketten mit Hilfe von speziellen Messverfahren wie der dreidimensionalen strahlungsfreien Haltungsvermessung und  der Messung der Muskelspannung  nach Ursachen geforscht und der Verlauf der jeweiligen Therapie kontrolliert.

Ursachen und Hintergründe von Rückenschmerzen
In den 80iger Jahren des letzten Jahrhunderts wurden in einer amerikanischen Studie Patienten mit Rückenbeschwerden mit dem Ziel untersucht, die häufigste Ursache von Rückenbeschwerden herauszufinden. Weder Beruf, noch sportliche Betätigung, weder Alter, noch Geschlecht konnten signifikant als Ursache von Rückenbeschwerden ausgemacht werden. Alle Patienten mit Rückenschmerzen hatten jedoch eine Schwäche der tiefen Rückenmuskeln aufzuweisen. Als tiefe Rückenmuskeln bezeichnet man die Muskeln, die direkt zur Wirbelsäule gehören, also von außen gesehen, unter den oberflächlichen Rückenmuskeln liegen und wichtig für die Haltung und Stabilisierung der Wirbelsäule sind. Bedingt durch die Schwäche der tiefen Muskeln werden die Bandscheiben und die Gelenke der Wirbel zu stark belastet – mit den bekannten Folgen.

Doch für eine gute Kraftentwicklung ist nicht nur der Muskel alleine zuständig, sondern auch das den Muskel steuernde Nervensignal darf nicht beeinträchtigt sein. Und dieses kann nur dann störungsfrei sein, wenn der sensomotorische Regelreis intakt ist.

Doch warum sind unsere tiefen Rückenmuskeln häufig so schwach? Unsere Rückenmuskulatur ist eigentlich für die Stabilisierung einer Brücke (beim Vierfüßlergang) und nicht für die Stabilisierung eines Segelmastes (beim aufrechten Gang) konstruiert. D.h. es bedarf eines speziellen Trainings dieses wieder auszugleichen. Meist werden bei sportlicher Betätigung jedoch nur die oberflächlichen Muskeln, die für die Beweglichkeit der Wirbelsäule wichtig sind, trainiert und nicht die tiefen, kurzen Muskelfasern zwischen Quer- und Dornfortsatz. Um diese zu kräftigen bedarf es spezieller Maschinen, die die oberflächlichen Muskeln ausschalten!

Was versteht man unter Sensomotorik und was bedeutet sie für unseren Bewegungsapparat?
Die Sensomotorik umfasst alle eingehenden Informationen, seien es Informationen von außen (z.B. Sehen, Hören), aber auch Informationen aus dem Körperinneren wie der Längenzustand unserer Muskeln und Sehnen oder die Stellung unserer Extremitäten. Die Sensomotorik ist die Grundlage unsere Haltungs- und Bewegungssteuerung. Die Muskeltonussteuerung, d.h. die Steuerung der Muskelspannung, erfolgt dabei über den Abgleich von Informationen aus den verschiedenen sensomotorischen Regelsystemen. Bereits geringe Störungen im Regelkreis unseres Nervensystems führen zu Beeinflussungen der Psyche, des Nervensystems, der Muskulatur und des Skeletts.

Steuerung der Körperhaltung
Die Haltungssteuerung basiert auf zwei Steuerungssystemen. So setzt sich die Kopfsteuerung aus dem räumlichen Sehen mit beiden Augen, dem Gleichgewichtssinn, dem Nackenfeld sowie dem Kiefergelenk und dem Biss zusammen.

Die Füße sind die Basis unserer Haltungssteuerung, gewissermaßen unsere Erdung. Dieses aktive, sensomotorische Greiforgan beeinflusst über aufsteigende Muskelkettenreaktionen ebenfalls unsere Körperhaltung.

Die Wahrnehmung der Stellung und Bewegung des eigenen Körpers (sog. Proprioception) erfolgt reflexartig über spezifische Strukturen an der Fußsohle mit Weiterleitung an Rückenmark und Kleinhirn. Über Muskelspindeln, Golgi-Sehnen-Organe, Mechanorezeptoren, Gelenkrezeptoren sowie freie Nervenendigungen werden die Reizinformationen des Fußes zur Bewegungskoordination erfasst, die dann über verschiedene Nervenfasern an das zentrale Nervensystem (ZNS) weitergeleitet werden.
Muskelspindeln und Golgi-Sehnen-Organe sind für die Regelung der Muskelspannung entscheidend. Von ihnen werden Informationen über Längen-, Lage- und Spannungs-änderung der Muskulatur an das ZNS weitergeleitet.

Funktionell ist diese gegenseitige Wechselwirkung als Balanceakt der neuronalen Ansteuerung zu sehen. Die sensomotorische Steuerung wird also aus dem Abgleich innerer und äußerer Signale stets von zentralen Kontrollmechanismen situativ angepasst und in eine, vorausgesetzt es liegt kein Muskelschwund vor, adäquate Bewegung von Muskeln und Knochen umgesetzt.

Sensomotorische Fehlsteuerungen
Sensomotorische Fehlsteuerungen lösen im System von Muskeln und Skelett  Schmerzen und Fehlbelastungen aus, wodurch langfristig strukturelle Störungen entstehen.
Die überwiegende Mehrzahl der Beschwerden des Bewegungsapparates spielen sich im Muskel- und Bindegewebe ab. Die meisten dieser Beschwerden sind funktionell bedingt, d.h. anatomisch können über die bildgebenden Verfahren keine Gründe für die geklagten Beschwerden ausgemacht werden. Dies erklärt die manchmal festzustellende Diskrepanz zwischen Befund des CT‘s, NMR‘s  oder Röntgenbildes und den Beschwerden der Patienten in der täglichen Praxis.

Symptome bei sensomotorischer Fehlsteuerung
Symptome funktioneller Beschwerden bedingt durch sensomotorische Fehlsteuerungen sind z.B. eine Fehlstatik der Wirbelsäule wie z.B. eine seitliche Verbiegung der Wirbelsäule kombiniert mit einer Rotation des Beckens, Schulter- und Beckenschiefstand, eine Verdrehung bzw. Verwringung des Beckens oder Beckenverkippung. Weitere Symptome können unspezifische Rückenschmerzen, Schmerzen an oder in der Wirbelsäule, Rückenschmerzen nach oder trotz Bandscheibenoperation (sog. Postnukleotomiesyndrom) oder muskuläre Verspannungen sein. Spannungskopfschmerzen, chronische Schmerzen im Nacken, Triggerpunktschmerzen oder auch chronische Kreuzschmerzen sind ebenfalls häufig anzutreffen.

Welche Therapien gibt es bei Rückenschmerzen?
Bei Rückenschmerzen umfasst die klassische schulmedizinische Therapie in der Regel
• Massagen, Krankengymnastik, Manuelle Therapie, Streckungen
• Wärmetherapie, Elektrotherapie
• Rückenschule
• Kreuzbandagen
• Schmerzmittel, Injektionen, Infusionen
• bei stärkeren oder chronischen Rückenschmerzen minimal-invasive Verfahren wie CT-gesteuerte Injektionen
• Bandscheibenoperation, Versteifung mehrerer Wirbelsegmente

Schulmedizinische Therapie bei Rückenschmerzen

Ganzheitliche Therapie bei Rückenschmerzen auf Basis der Sensomotorik
Je nach funktioneller Ursache des sensomotorischen Regelkreises können folgende Therapien in Betracht kommen:
• Spezielle Brillenversorgung und/oder Sehtraining
• Aufbiss-Schienen- oder Spangentherapie, Bionator, Aqualizer
• Training der Koordination (z.B. Einbeinstand auf weichen od. wackeligem Untergrund)
• Gesundheitsorientiertes Krafttraining oder eine medizin. Kräftigungstherapie (MKT)
• Fußmuskeltraining (Spiraldynamik)
• Sensomotorische, proprioceptive  Einlagenversorgung

Gezielter Muskelaufbau
Ergänzend zur Verbesserung der Fußfunktion und damit der Körperhaltung ist allerdings oft ein gezielter Muskelaufbau der primären und sekundären Rumpfstabilisatoren durch gezieltes Krafttraining erforderlich.
Durch die gezielte Verbesserung der Kraft und Koordination kann damit auch so genannten therapieresistenten Patienten mit einer langen Leidensgeschichte geholfen werden.

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