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Wissen wir, mit wem wir da wirklich in Beziehung leben? Paartherapeuten jedenfalls wissen, dass die angemessene Beantwortung dieser Frage von entscheidender Bedeutung bei der Klärung zahlreicher tiefsitzender Konflikte in Partnerschaften und Familien ist. Dies ist insofern auch wichtig, da die Motive zur Partnerwahl bereits in der frühen Kindheit geprägt werden.

Doch ganz so einfach ist diese Klärung nicht. Sie entwickelt sich im Prozess einer Paartherapie aber oft sehr eindrucksvoll. Qualifizierte systemische Paartherapeuten raten daher von sich aus weder zur Trennung noch arbeiten sie mit dem Paar an der vermeintlichen \‘Rettung\’ der \‘alten\’ Beziehung.

Genau hier liegt der Wert einer modernen Paartherapie. Das Paar wird \‘qualifiziert\’ in diesem Prozess, der Elemente aus Erfahrung, Würdigung, Training, Edukation und Kommunikation enthält, selbst erkennen und bewerten zu können, an wen man sich gebunden hat oder fühlt und warum. Diese Erkenntnis und Bewertung hat Auswirkungen auf den weiteren Verlauf.

Die Beantwortung dieser zentralen paardynamischen Frage gibt dem Paar neue, aber entscheidende Möglichkeiten, die Partnerschaft neu auszuhandeln und dadurch zu klären. Wenn das nicht gelingt, trennen sich Paare auch im Verlauf einer Paartherapie, aber auch diese Trennung ist dann \‘geklärt\’.
Bei etwa 30 % der Paare ist das der Fall. Deutlich über 50 % der Paare profitieren von einer Paartherapie im Sinne von gewünschten Veränderungen, ein kleinerer Teil bleibt weiter in konflikthaften Strukturen, aber auch das hat u. a. den Vorteil, dass diese Situation für das Paar berechenbarer ist als mögliche Veränderungen, die auch eine Herausforderung, Bedrohung oder Überforderung darstellen können, was zu den unerwünschten Nebenwirkungen einer Paartherapie gehören kann.

Die Erfahrung zeigt täglich, dass Partnerschaften heute eher besser geführt werden als noch Generationen vorher. \‘Besser\’ heißt hier nicht \‘Friede, Freude, Heiterkeit\’, sondern \‘besser\’ meint hier, dass Männer und Frauen heute viel interessierter daran sind, eine wirklich gleichberechtigte und gelingende Partnerschaft in unserem Kulturkreis zu leben. Aber auch unsere Ansprüche an das \‘perfekte Glück\’ sind heute deutlich höher als bei früheren Generationen, Arno Retzer spricht auch vom Diktat des Glücks. Dies hat Auswirkungen auf zahlreiche Lebensbereiche. Die Freiheiten, die eigene Partnerschaft so auszuhandeln, dass sie zu dem individuellen Paar passt, waren noch nie so groß wie heute. Partnerschaft ist längst zur Verhandlungssache geworden. Frühere kollektive Normen, wie eine Partnerschaft zu sein hat, existieren v. a. in urbaneren Gebieten immer weniger oder sind bereits völlig verschwunden.

Die Kehrseite von Gleichberechtigung und Freiheit ist, dass es heute einen enormen Bedarf an Kommunikation und Engagement gibt und eine gelingende Partnerschaft in jedem Fall auf einen ausgehandelten, nicht faulen Kompromiss hinaus läuft. Aushandeln meint: Ich weiß, worum es mir wirklich geht und dass das Verhandlungsergebnis nicht zu 100 % zu meinen Gunsten wird ausfallen können. Ich muss also wissen, was ich auch geben kann, ohne es zu bereuen. Eben das macht Partnerschaft auch so anstrengend, weil Kommunikation ein fortlaufender, dauernder Prozess ist. Das Scheitern von Beziehung ist heute auch ein Scheitern in der Kommunikation.

Auf der anderen Seite steht jedoch das jahrhundertealte kulturspezifische Ideal der \‘romantischen Liebe\’, das viele Menschen tatsächlich für naturgegeben halten oder zumindest für \‘natürlich\’. Auch viele junge Menschen leben heute mit einer sehr großen Sehnsucht nach einer alles umfassenden romantischen Liebe. Der Philosoph Precht weißt darauf hin, dass es im antiken Griechenland diesen Begriff von Liebe noch gar nicht gab, sondern er drei geteilt verstanden werden musste:  (Agape) Hingabe, (Eros) Sexualität und (Caritas) Nächstenliebe.

Die paartherapeutische Fachwelt ist sich inzwischen ziemlich einig, dass genau dieses \‘romantische\’ Ideal sehr oft im Alltag einer modernen und auch durch unseren komplexen Lebensstil geprägten Partnerschaft aufgrund seiner Projektionen, unausgesprochenen Erwartungen und Haltungen zu unglaublicher Frustration, Streit und Enttäuschung führt. Wenn in einer solchen Situation dann die bereits erwähnte kindliche Prägung der Partnerwahl zum Tragen kommt, sind die Konflikte programmiert.
In vielen Beziehungen wird der Partner in diesem \‘Modell\’ über kurz oder lang zum Feindbild, Verletzungen und Dramen aller Art folgen und finden oft auch den Weg in traurige Schlagzeilen der Medien. Die meisten Menschen glauben aber, dass \‘Liebe\’ doch alles rechtfertigen würde oder Partnerschaft ihnen auch umfassende Rechte am anderen geben würde, so z. B. das immer öfter zu beobachtende Phänomen, dass mit einem Smartphone der Aufenthaltsort des anderen Partners bestimmt wird oder die elektronische Post nicht dem Postgeheimnis unterliege.

Das Grundproblem bei dieser Paardynamik ist der \‘verschmelzende Charakter\’, d. h. die Partner gehen bewusst oder unbewusst davon aus, dass alles auf ein \‘Wir\’ hinaus läuft und ein \‘Ich\’ oder \‘Du\’ dabei früher oder später nicht mehr existiert oder auch nicht mehr existieren darf. Daraus ergeben sich häufig mit der Zeit sich verstärkende rigide Verhaltensmuster und Haltungen.
Inzwischen konnte wissenschaftlich belegt werden, dass Partnerschaft und die spezifische Dynamik zweier Menschen ebenso wie die einer Familie zu schweren psychischen Symptomen und Krankheiten führen können. Am Beispiel der Depression bei Menschen in Partnerschaft konnte an den Universitäten in München und Zürich eindrucksvoll belegt und nachgewiesen werden, dass bei dieser Indikation dringend Paartherapie durchgeführt werden sollte. Es gibt ebenso Belege, dass Paartherapie bei Depressionen deutlich wirksamer ist als andere Verfahren mit oder ohne antidepressiver medikamentöser Therapie.

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