Artikel 25/05/2022

Das jameda-Interview: 8 Fragen an Dr. Fabian Stehle

Team jameda
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Ärzte haben einen besonderen Blick auf die Welt der Medizin. Damit Patienten hinter die Kulissen des Gesundheitswesens blicken können, stellt jameda Herrn Dr. Fabian Stehle interessante Fragen zu seinen Erfahrungen als Ernährungsmediziner.

jameda: Herr Dr. Stehle, was hat Sie motiviert, Ernährungsmediziner zu werden?

Dr. Stehle: Wir betreiben in Deutschland Medizin auf hohem Niveau. Allerdings sind wir stark im ‘Reparaturmodus’ und versuchen, Dinge zu beheben, wenn es oft schon zu spät ist.

Ernährungsmedizin setzt früher an. Während meines gesamten Medizinstudiums hatte ich keinerlei Berührungspunkte zur Ernährungsmedizin (wie die meisten meiner ärztlichen Kollegen auch nicht, weil Ernährung im Studium so gut wie keine Rolle spielt). Genau deshalb wollte ich verstehen, wie groß medizinischer Nutzen ist, wenn wir ‘früher’ ansetzen und Patienten schon dann beraten, bevor es vielleicht zu spät ist.

Es gibt viele Studien, die zeigen, wie viel wir durch Ernährungsmedizin erreichen können. Das beginnt bei Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen, geht weiter über Diabetes Mellitus II (Alterszucker) und bis hin zum Körpergewicht (die Mehrheit der erwachsenen Deutschen ist übergewichtig).

All das sind Ansatzpunkte, bei denen wir versuchen können, Symptome zu reduzieren und Lebensqualität zu erhöhen.

jameda: Was macht Ihnen im Praxisalltag am meisten Freude? Wo sehen Sie die größten Herausforderungen?

Dr. Stehle: Ich nutze gern die digitalen Möglichkeiten, die wir (nicht erst seit Corona) inzwischen haben. Was Ernährung anbelangt, haben wir oft ja kein Erkenntnisproblem (wir wissen recht gut, was wir weniger oft essen sollten), sondern ein Umsetzungsproblem (der Schweinehund…).

Da möchte ich als beratender Arzt zur Seite stehen, die Patienten an die Hand nehmen und diese Reise gemeinsam beginnen. Je weniger Aufwand das für die Patienten bedeutet, umso besser. Deshalb gibt es bei mir keine Wartezeit im Wartezimmer, dafür aber mehr Zeit beim Arzt.

Und das wenn möglich von zu Hause aus, damit wir Aufwand und Zeit für Wegstrecken besser für Beratung und Therapie investieren.

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jameda:** Welchen Vorurteilen begegnen Sie häufig in Ihrer Praxis?

Dr. Stehle:

  1. Man kann mit Ernährung nichts erreichen: Das stimmt oft, weil viele Ärzte sich mit diesem Thema nie beschäftigt haben. Wer es konsequent angeht, kann jedoch einiges erreichen! Durch Ernährungsumstellung kann man an manchen Stellen ähnliche Effekte erzielen wie mit Medikamenten.
  2. Der Alltag holt jeden ein (‘Jojo-Effekt’): Das stimmt oft, kann aber im Vorfeld berücksichtigt werden. Es ist auch völlig in Ordnung, ab und zu ‘über die Stränge’ zu schlagen. Wichtig ist nur, in Summe die Ziele nicht dauerhaft aus den Augen zu verlieren.
  3. Es gibt ja Medikamente: Das stimmt auch (und Medikamente sind für viele Menschen wichtig und wir sind dankbar, dass es für viele Erkrankungen so tolle Medikamente gibt). Dennoch sollte sich meines Erachtens jeder fragen, ob der erste Schritt wirklich gleich ein Medikament sein muss. Für mich selbst ist der erste Schritt immer der Versuch, selbst aktiv zu werden und zu schauen, ob das vielleicht schon reicht. Wenn ja, wunderbar. Wenn nicht, sind Medikamente durchaus hilfreich.

jameda: Manche Krankheiten und Therapien sind unangenehm und verlangen viel Durchhaltevermögen vom Patienten. Was raten Sie Patienten in solchen Situationen?

Dr. Stehle: Alles, was leicht ist, war mal schwer.

Wir haben in unseren Lebensgeschichten schon so viel erreicht. Denken Sie daran, wie schwer es war, Fahrrad fahren zu lernen! Und wie leicht es jetzt ist. Sie benötigen zu Beginn vielleicht jemanden, der ihnen einige Male hilft, aufzusteigen und Ihnen einen Anstoß gibt. Dann klappt es oft schnell gut von allein.

Ähnlich ist es mit Ernährungsgewohnheiten. Ich selbst habe zum Beispiel vor einigen Jahren begonnen, Vollkornnudeln zu essen. Am Anfang ging das gefühlt gar nicht. Doch Gewohnheiten bilden sich erst nach einigen Wochen. Wer zu früh aufgibt, hat die Chance vertan. Ich habe einen italienischen Hersteller gefunden, der die Vollkorn-Pasta nicht so unangenehm dunkel herstellt wie klassische Öko-Varianten in deutschen Reformhäusern. Und plötzlich kam ich gut damit zurecht. Ab und zu gönne ich mir bewusst auch eine klassische helle Hartweizen-Pasta und genieße sie.

jameda: Wie reagieren Sie, wenn Sie merken, dass ein Patient Ihren Therapieplan nicht befolgt?

Dr. Stehle: Es ist nicht mein Therapieplan, sondern der Therapieplan des Patienten!
Mein Ziel ist nicht, aus einem Metzger einen Veganer zu machen (auch das gibt es!).

Wenn sich der Patient mit den gemeinsamen Überlegungen schwer tut, dann ist es wichtig, genau daran zu arbeiten und zu überlegen, was wir ändern können. Das kann unterschiedliche Konsequenzen haben: Entweder wir ändern den Plan oder überlegen uns, welche anderen Gründe dazu geführt haben, dass es schwierig war, sich an die vereinbarte Therapie zu halten.

Manchmal sind es ja auch Rahmenbedingungen, die es erschweren. Wenn ich selbst z. B. gefrustet bin, esse ich – ohne es zu merken – immer mal wieder Schokolade. Und zwar tafelweise.

jameda: Wenn Sie das Gesundheitssystem ändern könnten, was würden Sie als Erstes tun?

Dr. Stehle: Die Krankenkassen haben in Deutschland in 2020 ca. 414 Millionen € für Prävention und Gesundheitsförderung ausgegeben. Das sind je Versichertem etwas mehr als 5,50€. Also etwas mehr als einen Hamburger (und vermutlich ähnlich wirkungsvoll!). Die Gesundheitsausgaben in Summe waren ca. 260 Milliarden €. Also investieren wir ca. 0,2 % der Kosten in Prävention. Das ist, was ich mit ‘Reparaturbetrieb’ meine.

Wenn ich das Gesundheitssystem ändern könnte, würde ich als Erstes drei Dinge tun:

  1. Mehr Prävention: Und zwar von Beginn an. Ich hatte vor einigen Jahren in der Grundschule meines Sohnes einen ‘Ernährungstag’ durchgeführt. Recht aufwändig mit mobilem Klassenzimmer, Spielen, viel zu Essen & Co. Die Unterstützung der Schulleitung war recht gering.
  2. Anreize verändern: Ärzte und Kliniken verdienen heute vor allem an Operationen, Pharmafirmen am Verkauf von Medikamenten. Bessere Versorgung entsteht dann, wenn wir die richtigen Anreize setzen: Gesundheit muss das Behandlungsziel sein, nicht die Operation.
  3. Menschen aktivieren: Das ist sicherlich der schwierigste Punkt. Ich würde gesundes Verhalten stärker belohnen. Ich kann nicht verstehen, warum wir zulassen, dass sich Menschen erst jahrelang ungesund ernähren, nicht bewegen und Erkrankungen entstehen, die wir dann teuer behandeln.

jameda: Die Welt der Medizin verändert sich ständig. Gibt es neue Therapien oder Geräte, die Sie in Ihrer Praxis anwenden?

Dr. Stehle: Medizin erfordert den Dialog zwischen Menschen.
Damit dieser möglichst gut gelingt, hilft uns Technik.

Da passiert aktuell einiges. Ich habe vor Kurzem eine neue digitale Lösung getestet, die persönliche Ernährung bewertet und die Wirkung im Körper ‘messbar’ macht. Das ist eindrucksvoll – vor allem wenn die Erkenntnisse wie bei mir selbst – überraschend waren.

Ich versuche, alle sinnvollen Tools zu nutzen, die uns auf diesem Weg unterstützen.

jameda: Welchen Gesundheitstipp möchten Sie unseren Lesern mit auf den Weg geben?

Dr. Stehle: Ich möchte drei Tipps loswerden:

  1. Ernährung: Informieren Sie sich objektiv. Ratgeber mit sensationellen Ideen sind nicht immer die besten Quellen. Autoren verdienen an der Menge der verkauften Exemplare. Wenn ich ein Buch ‘Die Schweinsbraten-Diät – schlank im Wirtshaus’ auf den Markt bringen würde, wäre ich vermutlich schnell ein gefragter Experte. Die 10 Regeln der Deutschen Gesellschaft für Ernährung werden zwar immer wieder diskutiert. Es gibt aktuell aber nichts verständlicheres und Einfacheres.
  2. Bewegung: 10.000 Schritte am Tag. Das kann (und sollte) jeder erreichen.
  3. Mentale Gesundheit: Das Gehirn will trainiert werden. Bleiben Sie neugierig.

Zur Person

  • Dr. med. Fabian Stehle
  • Arzt, Ernährungsmediziner
  • Arzt & Mensch: 44 J, verheiratet, 1 Kind (13 J). Oberschwabe (geboren in Ravensburg) und Wahl-Bayer (seit 1997 in München)
  • Medizinstudium an der Ludwigs-Maximilians-Universität München und der Technischen Universität München
  • Interessen: Patientenkommunikation, Prävention, Mind-Body-Medizin, Stressregulation

Zur Praxis

GesundWunschPraxis

Am Grenzweg 20
85635 Höhenkirchen
www.gesundwunschpraxis.de
Privatpatienten und Selbstzahler

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