Artikel 01/10/2022

Naturheilkunde bei SIBO: Phytotherapie, Probiotika und Ernährung

Anne Wanitschek Heilpraktiker
Anne Wanitschek
Heilpraktiker
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Unsere Darmflora entscheidet mit, wie gesund wir sind und wie wir uns fühlen. Sie beeinflusst Entzündungsprozesse, Botenstoffe im Gehirn, unsere Essvorlieben oder unser Immunsystem. Daher findet die Darmflora bei vielen Erkrankung mittlerweile Berücksichtigung. Dabei liegt das Augenmerk auf der Bakterienbesiedlung des Dickdarms – der Dünndarm wird meist vernachlässigt.

Erst in den letzten Jahren interessieren sich die medizinische Forschung und Therapie für die Rolle der Dünndarmflora. Diese unterscheidet sich grundlegend von der Flora des Dickdarms. Die Dünndarmschleimhaut ist nämlich um einiges empfindlicher für bakterielle Stoffwechselprodukte als jene des Dickdarms. Wenn Bakterien des Dickdarms im Dünndarm wuchern, führt dies zur Fehlbesiedlung des Dünndarms, kurz SIBO (Small Intestinal Bowel Overgrowth). Die Beschwerden können die Lebensqualität entscheidend einschränken. Betroffene leiden u.a. unter Müdigkeit, Mangelerscheinungen, Verdauungsproblemen oder Immunschwäche.

Wenn die Diagnose SIBO mittels Atemtests und Ausschlussdiagnose gestellt werden kann, sollte bei Beschwerden eine zielgerichtete Therapie erfolgen. Die Naturheilkunde bietet hierfür verschiedene interessante Optionen.

Dazu zählen

- die Stärkung der Eigenregulation des Dünndarms,
- die Einnahme antibiotischer Wirkstoffe gegen Dickdarmkeime im Dünndarm,
- die Stärkung der natürlichen Dünndarmflora mit der Gabe von Probiotika und
- eine SIBO-Diät.

Diese Ansätze können für ein individuelles Therapiekonzept bei SIBO kombiniert werden.

Wie die Dünndarmflora reguliert wird

Der Dünndarm enthält deutlich weniger Bakterienarten als der Dickdarm. Das Wachstum der Dünndarmflora wird vor allem durch das Zusammenspiel der Magensäure und der Gallenflüssigkeit reguliert. Daneben hat noch die Bewegung des Dünndarms (Peristaltik) einen Einfluss auf die Bakterienflora des Dünndarms. Unter dieser Flora finden sich sogenannte Laktobacillen, das sind Bakterien, die Milchsäure bilden und damit den pH-Wert des Dünndarms senken. Dies bildet, zusammen mit der Ileozökalklappe (einer natürlichen Barriere zwischen Dünn- und Dickdarm), den wichtigsten Schutz gegen das Einwandern von Dickdarmbakterien in den Dünndarm.

Diese Schutzfaktoren können das Ansiedeln von Dickdarmbakterienarten wie den Bacteroides nie ganz vermeiden. So ließen sich in den letzten Dünndarmabschnitten bei den meisten Menschen auch Dickdarmbakterien nachweisen. Diese führen nicht zu Beschwerden, so lange deren Wachstum entscheidend – zum Beispiel auch durch IgA-Immunglobuline der Darmschleimhaut - gehemmt werden kann. Unter bestimmten Voraussetzungen können die natürlichen Abwehrmechanismen gegen die Dickdarmflora geschwächt sein. Dazu zählen zum Beispiel Entzündungen der Darmschleimhaut, chronischer Stress, eine schwache und träge Verdauung oder die Einnahme von Antibiotika. Dann nimmt die Anzahl der Dickdarmbakterien im Dünndarm zu und kann Beschwerden verursachen. (1)

Therapieansatz 1: die Regulation der Dünndarmflora stärken

Es ist für eine erfolgreiche Therapie des SIBO wichtig, diese verschiedenen Mechanismen der Regulation der Dünndarmflora zu kennen. Faktoren, die sich günstig auswirken wie

- eine gesunde Darmbewegung,
- eine ausreichende Produktion von Magensäure und Gallensaft,
- eine Reduktion von Stress und
- eine Stärkung der Barriere- und Abwehrfunktion der Darmschleimhaut

sollten in ein Therapiekonzept einfließen. Für die Umsetzung können zum Beispiel Heilpflanzen gewählt werden, die Stress reduzieren, die Verdauungsleistung stärken und die Darmschleimhaut unterstützen.

Therapieansatz 2: die Keimzahl im Dünndarm senken

Schulmedizinisch wird oft versucht, die erhöhte Keimzahl im Dünndarm mit Antibiotika wie Rifaximin zu senken. Eine Therapie mit Antibiotika kann kurzfristig erfolgreich sein, geht aber nicht selten mit Rezidiven einher: die Beschwerden treten nach einer Pause erneut auf. (2) Zudem können bei einer Antibiotika-Therapie Nebenwirkungen auftreten.

Eine mögliche Alternative zur Antibiotika-Therapie könnten Pflanzen sein, wie eine 2014 veröffentlichte Studie zeigt. In dieser zeigten sich Heilpflanzen ähnlich wirksam bei SIBO wie das Antibiotikum Rifaximin. (3) Zu den untersuchten Heilpflanzen zählen unter anderem Knoblauch (Allium sativum), die Berberitze (Berberis vulgaris) oder Zimt (Cinnamomum verum). Die Aussagekraft der Studie ist limitiert, weshalb weitere Untersuchungen notwendig sind, um die Ergebnisse zu validieren. Trotzdem können schon jetzt Heilpflanzen bei SIBO eingesetzt werden. Die Anwendung sollte nicht in Eigenregie, sondern auf Anweisung von erfahrenen Heilpraktiker:innen oder Ärzt:innen erfolgen.

Therapieansatz 3: günstige Bakterien im Dünndarm ansiedeln

Wie bereits erwähnt, prägen Laktobacillen das Milieu im Dünndarm. Die von ihnen produzierte Milchsäure erschwert ortsfremden Keimen das Ansiedeln. Es liegt also nahe, Laktobacillen in Form von Probiotika zuzuführen. Dieser Ansatz wird in der Praxis schon länger probiert und in jüngster Zeit auch in kleineren Studien untersucht. In einer 2014 veröffentlichten Pilotstudie reduzierte die Gabe von Laktobacillen die Beschwerden von Menschen mit SIBO. (4) Eine weitere Studie zeigte einen schützenden Effekt durch die Gabe von Laktobacillen bei SIBO-typischen Durchfällen. (5)

Der Nutzen von Probiotika ist aufgrund der bisher leider nur wenig aussagekräftigen Studien umstritten. Ihr Einsatz sollte daher nur in Absprache mit erfahrenen Therapeut:innen erfolgen.

Therapieansatz 4: die Dickdarmkeime im Dünndarm aushungern

Eine Ernährungsumstellung scheint die heute vielversprechendste Maßnahme bei SIBO zu sein. Die Dickdarmkeime im Dünndarm benötigen spezielle Kohlenhydrate um zu gedeihen. Wird ihnen diese Nahrungsquelle entzogen, reduziert sich ihre Anzahl im Dünndarm. Zu den Kohlenhydraten, die das Wachstum von Dickdarmbakterien im Dünndarm fördern, zählen:

- Stärke (z.B. enthalten in Brot, Nudeln, Reis),
- Inulin (z.B. enthalten in Topinambur, Löwenzahn) und
- Fruktane, Galaktooligosaccharide (z.B. enthalten in Zwiebeln, Knoblauch, Weizenprodukten, Früchten). (6)

Diese Kohlenhydrate können mithilfe der „spezifischen Kohlenhydrat-Diät“ (Specific Carbohydrate Diet) reduziert oder vermieden werden. Diese Ernährungsweise wurde ursprünglich für die Zöliakie entwickelt.

Auch die sogenannten FODMAPs können bei SIBO zu Beschwerden führen. FODMAPs sind vergärbare Mehrfachzucker, die im Dünndarm schlecht resorbiert werden und erst normalerweise erst im Dickdarm verstoffwechselt werden. Bei SIBO kommt es bereits im Dünndarm zu einer Aufspaltung der FODMAPs – von dort lebenden Dickdarmbakterien. Dies kann Symptome verursachen. Eine FODMAP-arme Ernährung wird bisweilen bei SIBO empfohlen, eine gängige Variante ist auch die Kombination der spezifischen Kohlenhydrat-Diät mit einer FODMAP-Diät.

Welche Ernährungsform im Einzelfall bei SIBO zu wählen ist, sollte individuell durch spezialisierte Therapeut:innen entschieden werden. Hierbei muss nämlich der individuelle Ernährungszustand, eventuelle Unverträglichkeiten und ein eventueller Mangel an Nährstoffen berücksichtigt werden.
Des Weiteren sollte bei der Ernährung auf eine eventuelle Laktoseintoleranz geachtet werden, die häufig bei Menschen mit SIBO auftritt.

Fazit

Weder die bisherigen Studienergebnisse noch die Erkenntnisse aus der Praxis geben eindeutige Hinweise auf eine einzelne therapeutische Lösung bei SIBO. Untersucht und in der Praxis probiert wurden verschiedene Ansätze. Dazu zählt die Ansiedlung günstiger Darmkeime, die Reduktion von speziellen Kohlenhydraten, die Reduzierung der Anzahl der Dickdarmkeime im Dünndarm und die Förderung der Eigenregulation des Dünndarms. Spezialisierte Therapeut:innen kombinieren meist diese Ansätze – aus naturheilkundlicher Sicht sind besonders eine Ernährungsumstellung und die Gabe von Phytotherapeutika und Probiotika interessant.

Quellennachweis

(1) Quigley EM. Small intestinal bacterial overgrowth: what it is and what it is not. Curr Opin Gastroenterol. 2014 Mar;30(2):141–6.
(2) Yang J, Lee HR, Low K, et al. Rifaximin versus other antibiotics in the primary treatment and retreatment of bacterial overgrowth in IBS. Dig Dis Sci. 2008;53:169
(3) Chedid V, Dhalla S, Clarke JO, et al. Herbal therapy is equivalent to rifaximin for the treatment of small intestinal bacterial overgrowth. Glob Adv Health Med. 2014 May;3(3):16–24
(4) Khalighi AR, Khalighi MR, Behdani R, Jamali J, Khosravi A, Kouhestani Sh, Radmanesh H, Esmaeelzadeh S, Khalighi N. Evaluating the efficacy of probiotic on treatment in patients with small intestinal bacterial overgrowth (SIBO)–a pilot study. Indian J Med Res. 2014 Nov;140(5):604-8
(5) Gaon D, Garmendia C, Murrielo NO, et al. Effect of Lactobacillus strains (L. casei and L. Acidophillus Strains cerela) on bacterial overgrowth-related chronic diarrhea. Medicina (B Aires). 2002;62:159
(6) Barrett JS, Gibson PR. Clinical ramifications of malabsorption of fructose and other short-chain carbohydrates. Practical Gastroenterology. 2007;51–65.

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