Artikel 19/06/2019

Harninkontinenz bei Frauen: Warum nicht immer Blasenschwäche dahintersteckt

Dr. med. Barbara Heeckt Frauenarzt (Gynäkologe)
Dr. med. Barbara Heeckt
Frauenarzt (Gynäkologe)
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Mehr als ein Drittel aller Frauen über 50 sind von Inkontinenz betroffen. Aber auch junge Frauen kann können schon darunter leiden. Da das Risiko mit zunehmendem Alter steigt, stellt dieser Artikel Symptome, Ursachen und Therapie verschiedener Formen gegenüber.

Was ist Inkontinenz?

Von Inkontinenz spricht man im Allgemeinen, wenn Urin und/oder Stuhl nicht gehalten werden können. Man bezeichnet sie entsprechend als Harninkontinenz und Stuhlinkontinenz.

Bei der Harninkontinenz unterscheidet man:

1. Belastungsinkontinenz (Stress-Inkontinenz) 
2. Dranginkontinenz (Urge-Inkontinenz)
3. Eine Mischform aus 1. und 2.
4. Überlaufinkontinenz
5. Neurogene Harninkontinenz
6. Extraurethrale Inkontinenz
7. Nächtliche Inkontinenz bei Kindern 
8. Nächtliches Wasserlassen/ Inkontinenz bei Erwachsenen

Die Inkontinenzformen unter Punkt 1-3 stellen die weitaus häufigsten Erscheinungsformen dar.

Alle Inkontinenzformen haben gemeinsam, dass sie unterschiedlich stark ausgeprägt sein können und dass sie die Betroffenen meist sehr stark belasten und verunsichern.
Frauen sind häufiger von Inkontinenz betroffen als Männer. Da ihr Becken zum Gebären ‘gebaut’ ist, weist es anatomische Schwachstellen auf. Zudem ist die Belastung des Beckenbodens in der Schwangerschaft und unter der Geburt deutlich erhöht. Die Hormonlage in der Schwangerschaft verringert obendrein noch die Festigkeit des Gewebes.

Belastungsinkontinenz

Typische Symptome:

  • Urinabgang beim Husten, Lachen, Niesen, Laufen, Hüpfen, Heben, aber auch in Ruhe.

Kann kombiniert mit einer Gebärmutter - und/ oder Scheidensenkung auftreten.

Ursachen:

Zumeist bedingt durch eine Schwächung relevanter Strukturen des Beckenbodens, der Muskeln und Bänder. Die Schwächung kann altersbedingt, anlagebedingt oder überlastungsbedingt eintreten.

Therapie:

  • Beckenbodenstärkung mittels Gymnastik und ggf. Biofeedback/ Elektrostimulation,
  • Stützung der geschwächten anatomischen Strukturen durch entsprechende Pessare,
  • lokale Hormonersatztherapie,
  • medikamentöse Therapiemöglichkeit,
  • operative Therapie.

Dranginkontinenz

Typische Symptome:

  • Plötzlich einsetzender extrem starker, nicht unterdrückbarer Harndrang mit zumeist großem Urinverlust.

Kann kombiniert mit einer Gebärmutter- und/ oder Scheidensenkung auftreten.

Ursachen:

  • Zumeist bedingt durch eine überaktive Störung des für die Harnentleerung zuständigen Blasenmuskels.

Kann auch durch Infektionen der Blase oder – weitaus seltener – durch Tumore bedingt sein.

Therapie:

Auch hier ist die Stärkung des Beckenbodens mittels Gymnastik sinnvoll. Des Weiteren sollte ein vorhandener Hormonmangel im Bereich der Scheide und des Blasenbodens mittels lokaler Hormongabe ausgeglichen werden. Zudem gibt es zahlreiche Medikamente, die die Dranginkontinenz beheben oder zumindest lindern können. Ein Blasentraining kann ebenso hilfreich sein. Operative Verfahren kommen hier nur sehr selten zum Einsatz.

Mischformen

Belastungsinkontinenz und Dranginkontinenz können auch gemeinsam auftreten. Die Diagnostik und Therapie ist entsprechend umfangreicher als bei den Einzelformen.

Überlaufinkontinenz

Typisches Symptom:

  • Plötzliches Entleeren der vollen Blase.

Ursachen:

  • Blockade der ableitenden Harnwege,
  • Muskelschwächung.

Männer sind häufiger betroffen als Frauen. Eine neurogene Blasenstörung muss ausgeschlossen werden.

Therapie:

  • Entsprechend der zugrunde liegenden Grunderkrankung.

Neurogene Harninkontinenz

Symptome:

  • Plötzliche Entleerung der Harnblase.

Ursachen:

Der Füllungszustand der Blase wird aufgrund von Hirn- oder Rückenmarksschädigung nicht gespürt und es kommt zu einer Reflexentleerung der Harnblase.

Therapie:

  • Blasentraining,
  • Medikamente

Extraurethrale Harninkontinenz

Symptome:

Urin tröpfelt oder läuft unwillkürlich recht kontinuierlich.

Ursachen:

  • Falschanlage der Harnwege (Diagnose meistens bereits im Kindesalter),
  • Fistelgangbildung (Verbindungsgänge von der Harnblase z. B. in die Scheide) nach Operationen oder Entzündungen.
    Die Harnröhre und ihr Schließmechanismus werden somit umgangen.

Therapie:

  • Zumeist gute operative Therapie möglich.

Nächtliche Inkontinenz bei Kindern

Symptome:

  • Häufiges nächtliches Einnässen nach dem 6. Geburtstag.

Ursachen:

Organische Ursachen und psychische Ursachen können dahinterstecken.

Therapie:

  • Je nach Ursache

Vermehrt Nächtliches Wasserlassen / Inkontinenz bei Erwachsenen

Symptome:

  • Durch die abendliche Trinkmenge nicht erklärliche nächtliche willkürliche bzw. unwillkürliche Blasenentleerungen.

Ursachen:

Tritt mit steigendem Lebensalter gehäuft auf. Grunderkrankungen wie Diabetes und Herzschwäche, aber auch ein schlechter Schlafrhythmus sind häufig ursächlich verantwortlich.

Therapie:

  • Behandlung einer vorhandenen Grunderkrankung,
  • Schlafrhythmisierung /-verbesserung.

Fazit

Die Harninkontinenz der Frau ist fast nie eine Blasenschwäche. Sie kann mit sehr unterschiedlichen Symptomen in Erscheinung treten, die wiederum verschiedene Ursachen haben können. In jedem Fall belastet sie die betroffene Frau sehr.

Als diagnostische Möglichkeiten stehen zur Verfügung:

  • Genaue Anamnese,
  • Trink-/Miktionsprotokollierung,
  • körperliche (gynäkologische) Untersuchung,
  • Ultraschall der Beckenorgane (wichtig: auch in Aktion!),
  • urodynamische Untersuchung,
  • neurologische Untersuchung.

Es gibt gute Vorbeugemaßnahmen und viele erfolgreiche Therapiemöglichkeiten.

Jede Inkontinenz sollte von einem erfahrenen Arzt abgeklärt werden. Für Frauen ist ein urogynäkologisch erfahrener niedergelassener Gynäkologe der sinnvolle erste Ansprechpartner. Im Bedarfsfall wird er zusätzliche Spezialuntersuchungen veranlassen.

Inkontinenz darf kein Tabuthema sein!

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