Artikel 14/04/2022

Therapeutische und medikamentöse Interventionen in der Trauerbegleitung

Dipl.-Psych. Monika Müller-Herrmann Heilpraktiker für Psychotherapie
Dipl.-Psych. Monika Müller-Herrmann
Heilpraktiker für Psychotherapie
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Welche Möglichkeiten haben trauernde Menschen in der Psychotherapie?

Die Diagnose ‘Prolongierte Trauerstörung’ wird erst im ICD 11 die aktuelle [internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, Anmerkung der Redaktion) eingeführt werden. Bis dahin erhalten trauernde Menschen, die eine erhebliche Symptomlast tragen, Ersatzdiagnosen, wie die Anpassungsstörung oder die Posttraumatische Belastungsstörung oder die Diagnose einer mittelgradigen Depression.

Im Jahr 1993 erfolgte die erste Benennung einer mit Trauer verbundenen Störung. Horrowitz sprach von pathologischer Trauer, Znoy von komplizierter Trauer. Durchgesetzt hat sich die heutige neue Diagnose einer prolongierten Trauerstörung.

Was beinhaltet die neue Diagnose der prolongierten Trauerstörung?

Sie erfasst folgende Bereiche:

  • Ereignis, Verlust einer nahestehenden Person (Partner, Kind, Eltern usw.)
  • Anhaltende, durchdringende Trauerreaktion charakterisiert durch sehr starke Sehnsucht nach dem verstorbenen Menschen oder eine starke Beschäftigung mit ihm.

  • Symptome aus 2. werden begleitet durch intensiven, emotionalen Schmerz und mindestens eines der folgenden 10 Symptome liegt vor: Angst, Schuldgefühle, Verleugnung, Ärger, Schuldzuweisungen, Schwierigkeiten, den Tod zu akzeptieren, das Gefühl, einen Teil seiner selbst verloren zu haben, Unfähigkeit, positive Stimmung zu erleben, emotionale Taubheit, Schwierigkeiten, sich auf Kontakte und soziale Beziehungen einzulassen.

  • Die Trauerreaktion hält an und persistiert über 6 Monate und übersteigt den kulturellen Rahmen oder den Kontext des jeweiligen Individuums.
  • Die Einschränkungen verursachen signifikante Beeinträchtigungen in beruflichen, sozialen, privaten, familiären oder schulischen Funktionsbereichen.

Welche therapeutischen Interventionen werden im Moment erforscht?

Im Projekt Progrid der Goethe-Universität Frankfurt am Main wurden ein Gruppentraining und ein verhaltenstherapeutisches Einzeltraining erforscht. Beide gehen von dem Ansatz aus, dass der Trauernde die Konfrontation mit dem Trauergefühl oder dem Trauertrigger.

Daher wurden hier Elemente der Konfrontationstherapie wie z. B. Konfrontation mit dem Foto des Verstorbenen oder ein therapeutisch begleiteter Gang zum Grab, in sensu (Imaginationstechnik) oder in vivo (Behandlung außerhalb der Behandlungsstätte), ausprobiert. Sie konnten die erlebte Trauerreaktion nach mehreren Durchgängen senken.

Andere therapeutische Strategien kommen aus der Schematherapie und arbeiten z. B. mit Briefen an die Verstorbenen, in denen in schriftlicher, innerer Zwiesprache noch einmal ausgedrückt werden kann, was dem Verstorbenen nicht mehr gesagt werden konnte.

Ein anderes Element aus der Verhaltenstherapie ist der Aufbau positiver Aktivitäten, wie es Haunziger auch bei der Depression empfiehlt. Ein eher edukatives Gruppenangebot kann genau wie bei der Depression dazu genutzt werden, es im Alltag gemeinsam umzusetzen und neue soziale Kontakte zu anderen Betroffenen zu knüpfen.

Wie sieht es mit medikamentösen Interventionen aus?

Hier ein Fallbeispiel:

Frau S., Witwe, ihr Ehemann starb vor 3 Jahren bei einem Unfall, klagt über anhaltende starke Trauer und Wut auf ihre Lebensverhältnisse als Witwe. Sie sagt, sie könne noch heute seinen Tod nicht richtig begreifen, denke immer noch, er käme jeden Moment zur Türe rein von einer Dienstreise. Sie klagt über anhaltende niedergeschlagene Stimmung, über starke Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Konzentrationsmangel. Sie erlebe ihre Arbeit als Überlastung und Stressor. Sie sei bereits mehrere Monate krankgeschrieben gewesen, eine Sechs-Wochen-Reha in einer psychosomatischen Klinik brachte nur wenig Linderung. Sie habe den Gedanken an eine Frühberentung verworfen, aber ihre Arbeitszeit deutlich reduziert.

Als Leitsymptom steht für diese Menschen oft an vorderster Stelle, dass sie durch die Trauer starke, anhaltende Niedergeschlagenheit und Schlafstörungen haben. Eine Frau formulierte es so: „Wenn ich nur endlich richtig schlafen könnte, wäre alles leichter erträglich…!“

Wenn die Diagnose Depression gestellt wird, erscheint die Therapie mit Antidepressiva naheliegend. Viele Trauernde lehnen jedoch die Therapie mit Antidepressiva ab.

Weitere Fallbeispiele:

Frau S. „Ich bin doch in Trauer, ich bin doch nicht depressiv? Ich habe doch ein Recht auf meine traurigen Gefühle, mein Mann ist doch gestorben?“

Nach den Ergebnissen des Forschungsprojekts Progrid steht fest, dass Menschen in langanhaltender Trauer, die nach dem neuen IDC 11 die Diagnose ‘anhaltende Trauerstörung’ bekämen und nicht die Diagnose einer Depression, von einer Antidepressivatherapie nur begrenzt profitieren. Es kann zu einer Linderung der Schlafstörungen und der Niedergeschlagenheit fühlen, was aber nicht eintritt, ist, dass die starke, quälende Sehnsucht nach dem Verstorbenen nachlässt.

Fallbeispiel Frau M. „Ja, ich weine jetzt weniger und schlafe besser, aber es erscheint mir irgendwie unpassend. Ich bin doch trotzdem traurig und vermisse meinen Mann so sehr…“

Wie geht man mit Trauer um?

Seit Sigmund Freud gibt es den Ausdruck der Trauerarbeit und die These, dass Trauerarbeit notwendig ist, um die Trauer zu verarbeiten. Dies kann in Form einer Psychotherapie, einer Trauerbegleitung oder gut begleitet im Freundeskreis, in der Kirchengemeinde, in einem Trauercafé geschehen.

Trauernde Menschen müssen begreifen, dass der Verstorbene wirklich tot ist. Sie müssen neue Aufgaben in ihrem Leben bewältigen, die Dinge des Verstorbenen verabschieden, vielleicht ein Zimmer räumen oder eine Wohnung ausräumen. Sie müssen sich viele neue Fähigkeiten aneignen und mit einer Fülle quälender, überwältigender und chaotischer Gefühle klarkommen. Diese Traueraufgaben werden in mehreren Trauermodellen beschrieben, so z.B. von William Worden oder Yorick Spiegel.

Können Mediikamente helfen?

Medikamente helfen dabei nur bedingt oder gar nicht. Trauernde haben seelische und praktische Aufgaben zu lösen, auf ihrem Weg zurück ins Leben ohne den geliebten Menschen. Dabei brauchen Sie seelische Unterstützung, manchmal auch seelsorgerische Begleitung, manchmal Psychotherapie, oft den Austausch mit anderen Trauernden und manchmal auch sozialarbeiterische Hilfen.

Dennoch ist der Leidensdruck gerade beim Symptom Schlafstörung oder beim Symptom Antriebslosigkeit oft so hoch, dass dem Hausarzt gegenüber immer wieder der Wunsch nach medikamentöser Linderung geäußert wird.

Schlafstörungen können sehr, sehr quälend sein und die Lebensqualität sehr beeinträchtigen. Es gibt auf die Frage, ob Medikamente gegen Trauer helfen, keine einfache Antwort. Hier empfiehlt sich parallel zur Psychotherapie der Besuch eines Facharztes.

Auch wenn hier erfahrungsgemäß große Hemmungen bestehen, den Psychiater aufzusuchen und auf einen Facharzttermin etwas länger gewartet werden muss, ist ein Psychiater oder eine Psychiaterin dann für die längerfristige Einnahme von Psychopharmaka die / der bessere Begleiter. Er / Sie wird auch eher im Blick haben, was psychotherapeutisch oder zur Trauerbegleitung sonst noch getan werden könnte. Wenn eine medikamentöse Intervention gewählt wird, sind niedrig dosierte Antidepressiva das Mittel der Wahl und keine Tranquilizer.

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