Artikel 04/06/2009

Von wem hat er das bloß?

Team jameda
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Liebe jameda-Community,
wie wichtig sind die Erbanlagen für das Glück? Was ist Genetik, was ist Umwelteinfluss? Sieht ein Kind seinem Vater ähnlich, sind sich alle einig: das ist genetisch. Sieht es dem Nachbarn ähnlich, gilt das als Umwelteinfluss. Die Genetiker sind verrückterweise gerade auf dem Weg in eine neue Demut. Statt zu sagen, es sei alles festgelegt, bekennen sie heute viel freimütiger: es gibt viele Steuerungsfaktoren, die wir überhaupt noch nicht verstehen. „Epigenetik“ heißt das Stichwort. Denn welche unserer Gene zum Einsatz kommen ist nicht festgelegt, sondern die Aktivierung geschieht abhängig von unserer Lebensweise.
Kurzum: Man kann sich seine Eltern nicht vorsichtig genug aussuchen, und trotzdem ist jeder Mensch eine unvorhersagbare Mischung aus Möglichkeiten und für einen guten Teil seines Körpers auch wieder selbst verantwortlich. Dazu eine schöne Anekdote:

Marilyn Monroe flüstert Albert Einstein ins Ohr. „Wir sollten ein Kind machen. Stellen Sie sich vor, meine Schönheit und ihre Intelligenz.“ Einstein überlegt kurz: „Stellen Sie sich vor, es kommt umgekehrt!“

VON WEM HAT ER DAS BLOSS?

Mit dem Glück ist es so ähnlich wie mit dem Körpergewicht. Es gibt eine Veranlagung. Und viele Ausreden. Verändern lässt sich ein Teil, soviel ist klar. Wie viel kann nur jeder für sich herausfinden. Die Gene geben den Rahmen vor, von dem was grundsätzlich möglich ist. Wer zwei große Eltern hat, wird auch größer als jemand, der zwei eher kleine Eltern hat. Das spricht dafür, dass die Körpergröße vererbt wird. Wenn sich aber in den letzten Jahren die Durchschnittslänge um 2 Zentimeter verlängert hat, spricht das nicht für eine neue Mutation in einem Wachstumsgen, sondern dafür, dass sich die Bedingungen zum Wachsen verbessert haben. Und so ist es auch mit dem Glück: vererbt wird ein Bereich von dem was uns stimmungsmäßig möglich ist, ob wir den ausschöpfen und an die Decke unserer Möglichkeiten stoßen, liegt nicht in uns, sondern an uns.

Der schlagendste Beweis, dass Glück zu einem guten Teil in den Genen liegt, sind die Studien an Zwillingen, die bei der Geburt getrennt wurden und bei verschiedenen Eltern aufwuchsen. Wären die Beziehungen zur Mutter, die Erfahrungen im Kindesalter oder die Ernährung sehr entscheidend für unser Glück, müssten diese Zwillinge sich stark unterscheiden. Tun sie aber nicht. Im Gegenteil: wenn man weiß, wie gut der eine als Erwachsener drauf ist, kann man sein Geld darauf wetten, dass der andere sehr ähnlich drauf sein wird.

Ob man das gut oder schlecht findet, es nimmt ein bisschen was von dem Druck raus auf Eltern, Lehrer und auch auf einen selbst. Wenn man meint, die anderen hätten einen massiv geändert oder man selber müsste sich stark ändern, sollte man vor allem eines ändern: seine Meinung. Denn auch unsere Persönlichkeit ist zu mindestens der Hälfte genetisch festgelegt und ändert sich über die Lebenszeit nur wenig. Darüber können Sie sich aufregen oder nicht. Und ob Sie sich darüber aufregen oder nicht, ist wieder Teil ihrer Persönlichkeit. Es gibt eben solche und solche. Der eine ist eher ein grundsätzlich genügsamer und geruhsamer Mensch, der andere ein unruhiger Geist, der es nicht lange an einem Ort aushält. Und wahrscheinlich diesen Blog gar nicht bis hierher liest.

Besser als jeder Gentest im Labor ist ein Familientreffen. Da bekommt man schnell ein Gefühl für die „Erblast“ und für die Bandbreite, die gleichzeitig möglich ist. Die Gene sind wie die Spielkarten, die wir ausgeteilt bekommen haben. Wie wir aber damit spielen, liegt an uns. Und manchmal nützen einem auch 4 Asse im Ärmel nichts – zum Beispiel beim Schach.

Genetik ist selten schwarz -weiß, sondern bunt. Die Gene für unsere Launen sind auf verschiedenen Chromosomen verteilt  – es gibt garantiert nicht EIN „Glück-Gen“. So wenig wie es für Schönheit ein „Foto-Gen“ gibt. Oder für Fettleibigkeit das „Zum-Kühlschrank-Gehen“. Die Wissenschaftler reden gerne von „multifaktoriell“. Das klingt einfach besser als: „Fragen Sie doch in 50 Jahren noch einmal nach, wir sind gerade noch nicht so weit, wie wir gedacht haben“.

Dass Gene uns prägen finde ich nicht belastend, sondern entlastend. Und darum zu wissen, ist nützlich, und für den Teil lohnt es sich dann auch Verantwortung zu übernehmen. Wenn die Hälfte also feststeht, muss dass ja nicht die bessere Hälfte sein. Und deshalb lohnt es sich dennoch, sich mit der anderen Hälfte, die wir beeinflussen können, zu beschäftigen. Vielleicht ja sogar zum Guten.

Ganz praktisch heißt dass, mal nachzufragen, wer denn woran gestorben ist. Brustkrebs, Darmkrebs, Herzinfarkt? Meistens weiß es keiner ganz genau, aber wenn man bei den alten Tanten noch mal nachhakt, bekommt man auch Hinweise auf die seelische Gesundheit, ob jemand „ein Sonnenschein“ war oder in „geistiger Umnachtung“ starb oder sogar „freiwillig aus dem Leben schied“.

Wer qua erblicher Vorbelastung weiß, dass er zur Schwermut neigt, kann durch seinen Lebensstil ganz konkret gegensteuern. Wer Psychotiker in der Familie hat, sollte extrem vorsichtig mit bewusstseinsverändernden Substanzen sein. Cannabis ist nicht so harmlos, wie die Kiffer behaupten. Diese Behauptung ist schon Teil der Wirkung – das einem eben viel egal wird. Im Ernst: ich habe sehr viele Jugendliche in der Psychiatrie erlebt, die durch Haschisch in die Psychose gerutscht sind und kaum mehr herausfanden.

Wie anfällig sind Sie fürs Glück?

Haben Sie schon einmal einen Persönlichkeitstest gemacht? Das sagt sehr viel mehr über einen aus als chinesisches Horoskop und Handlinien zusammen. Es gibt viele verschiedene Modelle menschliche Neigungen und Macken aufzudröseln, zum Beispiel in 5 Kategorien, den sogenannten “BIG FIVE“: Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit. Darunter kann man sich erstmal wenig vorstellen, aber für unser Thema ist spannend, dass einige Merkmale mit unserer Glücksfähigkeit zusammen hängen, aber anders als man denkt.

Extrovertiert sein hängt ganz klar mit Glück zusammen. Man bekommt auch einfach mehr mit von den Extrovertierten als von den stillen Introvertierten. Extrovertierte lernen leichter andere Menschen kennen, und weil soziale Kontakte ein großer Glücksbringer sind, tun sie sich da leichter. Sei können aber auch schneller nerven, wenn sie nie bei sich sind.
Extraversion zeigt sich in dem, was uns einen Kick geben kann. Ein Introvertierter fährt im Urlaub gerne wieder dahin, wo es schon mal schön war. Der Extro bucht Bungie Jumpen in Australien, wundert sich, dass dort die Welt nicht auf dem Kopf steht, und fährt dann spontan noch ganz wo anderes hin. Wie kann so etwas angeboren sein?

Auf jeder Nervenzelle stehen Antennen, die die Signale von anderen Nervenzellen empfangen und weiterleiten. Vererbt wird die Empfindlichkeit dieser Antenne, die die Nervenzelle „reizt“. Und im Konzert von 100 Milliarden Nervenzellen resultiert daraus, was uns als Mensch „reizt“. Ob wir Streichmusik oder Rockmusik brauchen, um etwas zu spüren. Und so gibt es die ganze Bandbreite von Interessen, von Halma bis Surfen, von monogam bis polymorph. (und wenn Sie jetzt googlen, was polymorph heißt, sind Sie auch schon ein bisschen neugieriger als andere). Die Neugierigen interessieren sich mehr für andere, gehen auf die zu, lieben außergewöhnliche Orte, Partner und Sexpraktiken. Sie sind schneller verheiratet – und schneller wieder woanders. Ihre Suche nach neuen Erfahrungen geht einher mit mehr Neigung zu Alkohol, Zigaretten und Süßigkeiten. Sie treffen mehr Leute, haben mehr Freunde, aber ihre Unruhe macht ihre Familien weniger stabil, sie haben mehr Unfälle und Krankenhausaufenthalte. Es gibt eben nix im Leben umsonst.

Und wieder einmal hängt die Bewertung was „besser“ ist, von der jeweiligen Situation ab. Schwer haben es die Kinder, die viele Reize brauchen und suchen in einer konzentrierten und reizarmen Lernatmosphäre wie der Schule. Wer heute in der Schule als hyperaktiv bezeichnet wird, war früher am Lagerfeuer der erste, der mitbekam, wenn sich etwas im Gebüsch bewegte. Der „Aufmerksamkeitsgestörte“ hatte seine Augen überall, haute rechtzeitig ab, und wurde nicht vom Säbelzahntiger gefressen. Seit es Schulpflicht, aber keine Tiger mehr gibt, dreht sich der Vorteil zum Nachteil.

Gewissenhaftigkeit heißt, sich Dinge vorzunehmen und sie auch tatsächlich zu tun. Was ein großes und verlässliches Glück bedeuten kann. Besonders für die Opfer der Extrovertierten.

Überraschenderweise nicht mit Glück korreliert Offenheit für Erfahrungen! Denn die positiven und die negativen Erfahrungen gleichen sich offenbar aus. Wer für alles offen ist, ist nicht ganz dicht.

Verträglichkeit ist auf jeden Fall ein großer Schlüssel zum Glück. Das sind Menschen die Freude haben, mit anderen Menschen zusammen zu sein und sich gegenseitig zu helfen.
Der letzte Faktor, Neurotizismus,  heißt auf gut deutsch: wie schnell bin ich genervt von etwas. Mache ich mir oft Sorgen? Fühle ich mich öfter schlecht, ohne genau zu wissen warum? Hohe Werte haben Menschen, die sich viel zu Herzen nehmen, schnell verstimmt sind und zu viel grübeln, wer an allem Schuld sein könnte. Das Gegenteil von Neurotizismus ist ein dickes Fell. Das ist nicht gleichbedeutend mit gut oder schlecht. Labile können sich besser in andere einfühlen, sind aber schnell aufgekratzt. Wen aber gar nichts kratzen kann, hat deshalb auch nicht automatisch mehr vom Leben. Neurotische Menschen sind für sich und ihre Umgebung unnötig anstrengend. Gleichzeitig bringen die Unzufriedenen die Welt voran. Die meisten kreativen und einflussreichen Geister in der Kunst und dem öffentlichen Leben sind angetrieben durch den Wunsch etwas zu verändern. Ein Blick in die Charts zeigt das ganze Panorama der Psychopathologie, von Amy Winehouse über Britney Spears bis Robbie Williams, die allesamt sehr hohe Neurotizismuswerte haben dürften, sonst wären sie gar nicht soweit gekommen.
Die eigentliche Pointe dieses Textes hat nun lange genug auf sich warten lassen. Sie lautet:
Sehr viel von dem wir glaubten, dass unser Glück davon abhängt, ist bei genauer Betrachtung kompletter Quatsch. Was habe ich mir alles für Gedanken gemacht, ob ich als Frau glücklicher wäre, ob ich mit 20 glücklicher war als heute, ob „reicher“ oder „dümmer“ oder „verheirateter“ irgendwie mein Leben komplett verändern würde. Die wissenschaftliche Antwort lautet: MACH DIR DARÜBER KEINEN GROSSEN KOPF! Diese Faktoren machen einzeln zwischen 1% und 6% aus.

Viel spannender ist die Frage, wie ich aus dem, was ich an Persönlichkeit und Genen auf den Weg mitbekommen habe, das Beste machen kann. Sprich: herausfinden, was mir besonders gut tut, und dann mehr davon  tun. Zum Beispiel auch als introvertierter Mensch mehr dafür zu tun, gesellig zu werden. Und als Mensch mit Hang zum Dramatisieren etwas mehr Gelassenheit und Verträglichkeit zu üben.
Der aussagekräftigste psychologische Test um vorherzusagen, wie glücklich Sie in 10 Jahren sein werden, ist, Sie heute zu fragen: Wie glücklich sind Sie jetzt?

Wann fangen Sie an?

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