Artikel 15/07/2025

Wenn das Kiefergelenk aus dem Takt gerät – CMD ganzheitlich verstehen und behandeln

Niclas Johannson B.Sc. Physiotherapeut, Lymphtherapeut, Heilpraktiker für Physiotherapie
Niclas Johannson B.Sc.
Physiotherapeut, Lymphtherapeut, Heilpraktiker für Physiotherapie

Viele Menschen ahnen nicht, dass Kieferprobleme weitreichende Auswirkungen auf den ganzen Körper haben können. Häufig sind es nicht nur Schmerzen im Kiefer, sondern auch Verspannungen im Nacken, Kopfschmerzen oder sogar Ohrgeräusche, die ihre Ursache in einer Funktionsstörung des Kausystems – der sogenannten craniomandibulären Dysfunktion (CMD) – haben.

Schematische Darstellung eines Skeletts mit in rot gekenntzeichnetem Kiefergelenk.

Woran erkenne ich CMD?

Eine CMD kann sich auf unterschiedliche Weise äußern. Neben typischen Kiefergeräuschen wie Knacken oder Reiben kommen oft Beschwerden dazu, die auf den ersten Blick nicht mit dem Kiefer in Verbindung gebracht werden – etwa eingeschränkte Mundöffnung, Druckgefühl, Nackenverspannungen, Kopfschmerzen oder Ohrsymptome wie Tinnitus. Studien zeigen, dass diese Beschwerden oft unter Stress zunehmen und auch durch muskuläre Dysbalancen beeinflusst werden können (Lobbezoo et al. 2010, Wieckiewicz et al. 2020).

Wie kommt es dazu?

Die Ursachen sind vielfältig. Häufig stehen emotionale Belastung, Stress oder Zähneknirschen im Vordergrund – unser Körper verarbeitet seelischen Druck oft buchstäblich „mit den Zähnen“. Auch Fehlstellungen im Gebiss, eine ungünstige Bisslage oder Verspannungen im Schulter-Nacken-Bereich können CMD begünstigen (Ferreira-Bacci et al. 2012, DGFDT Leitlinie 2022).

Wer stellt die Diagnose?

Die erste Einschätzung erfolgt in der Regel durch die Zahnärztin oder den Zahnarzt. Auffällige Befunde wie abgeschliffene Zähne, Kiefergeräusche oder Druckstellen an der Mundschleimhaut sind Hinweise auf eine Fehlbelastung. Bildgebende Verfahren wie ein MRT kommen meist nur in komplizierten Fällen zum Einsatz (DGFDT Leitlinie 2022). Ergänzend ist eine physiotherapeutische Untersuchung sinnvoll, um muskuläre Dysbalancen und Bewegungseinschränkungen zu erkennen.

Wie sieht die Behandlung aus?

  1. Zahnschiene:
    Oft bildet eine individuell angepasste Aufbissschiene den ersten Behandlungsschritt. Sie entlastet das Kiefergelenk, schützt die Zähne und kann die Kiefermuskulatur entspannen. Wichtig ist eine regelmäßige Kontrolle und ggf. Anpassung (Klasser & Greene 2009).

  2. Physiotherapie:
    Die physiotherapeutische Therapie bei CMD ist darauf ausgerichtet, Spannungen zu lösen, die Gelenkbeweglichkeit zu verbessern und muskuläre Dysbalancen auszugleichen. Dazu gehören sanfte Mobilisationen, gezielte Dehnungen, manuelle Techniken und aktive Übungen für den Alltag. Aktuelle Studien zeigen, dass insbesondere eine Kombination aus Schiene und gezielter Physiotherapie zu besseren Ergebnissen führt (Michelotti et al. 2019).

  3. Individuelle Beratung:
    Im Rahmen der Therapie vermitteln wir alltagstaugliche Tipps: Schon kleine Veränderungen – wie eine entspannte Kieferhaltung, bewusste Pausen oder gezielte Selbstübungen – können helfen, Beschwerden langfristig zu reduzieren.

Wie lange dauert die Therapie?

Die Dauer der Behandlung ist individuell verschieden. Erfahrungsgemäß sind 10 bis 30 physiotherapeutische Sitzungen notwendig, um spürbare Erfolge zu erzielen – immer in enger Zusammenarbeit mit der zahnärztlichen Betreuung. Entscheidend ist vor allem die aktive Mitarbeit: Wer regelmäßig übt und die Hinweise beherzigt, profitiert am meisten.

Fazit

CMD ist komplex, aber gut behandelbar. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in einem interdisziplinären Ansatz, der sowohl zahnärztliche als auch physiotherapeutische Maßnahmen umfasst. Unsere Praxis begleitet Sie ganzheitlich auf dem Weg zu mehr Lebensqualität – mit Empathie, Erfahrung und einem individuell abgestimmten Therapieplan.


Quellen (Auswahl)
Lobbezoo F et al. (2010): Bruxism: its multiple causes and its effects. J Oral Rehabil.

Ferreira-Bacci A et al. (2012): The influence of stress on temporomandibular disorders. J Appl Oral Sci.

Wieckiewicz M et al. (2020): TMD and tinnitus: a systematic review. Front Neurol.

DGFDT Leitlinie 2022: Diagnostik und Therapie der kraniomandibulären Dysfunktion.

Klasser GD, Greene CS. (2009): Oral appliances in the management of sleep bruxism. J Calif Dent Assoc.

Michelotti A et al. (2019): The efficacy of physiotherapy in temporomandibular disorders. J Oral Rehabil.

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