Artikel 05/02/2016

Metastasen verhindern, länger leben: Neuigkeiten aus der Krebsforschung

Team jameda
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Jedes Jahr erhalten 500.000 Deutsche die Diagnose „Krebs“ – für manche ein Todesurteil, ist Krebs doch die zweithäufigste Todesursache in Deutschland. Kein Wunder also, dass viele Wissenschaftler fieberhaft dabei sind, alte Therapien zu verbessern und neue Verfahren zu entwickeln. jameda fragte Dr. Heine, die kürzlich für ihre Arbeit an einer neuen Krebsimpfung am Universitätsklinikum Bonn mit dem Lisec-Artz-Preis ausgezeichnet wurde, und Dr. Dr. Hirtz, der am Karlsruher Institut für Technologie ein neues Verfahren gegen Metastasenbildung entwickelt, über den aktuellen Stand ihrer Krebsforschungsprojekte.

jameda: Herr Dr. Dr. Hirz, Ihr neues Verfahren soll verhindern, dass Krebszellen zu wandern beginnen und Metastasen bilden. Es gibt allerdings schon eine Methode, mit dem Ärzte streuende Krebszellen erkennen können. Warum wurden Forschungen eingeleitet, um ein neues Verfahren zu entwickeln?
Dr. Dr. Hirtz: Bisher gibt es leider keine guten Standardverfahren, mit denen man Krebszellen erkennen könnte. Eine Methode, die in Kliniken angewandt wird, arbeitet mit einer Art Sieb und magnetischen Antikörpern, die Tumorzellen ausfiltern. Dafür sind allerdings komplizierte Maschinen notwendig. Außerdem gehen durch das aufwendige Verfahren einige Krebszellen verloren.

jameda: Wie funktioniert das neue Verfahren, das Sie mit Ihren Kollegen entwickeln, und warum ist es bereits jetzt erfolgreicher als die Standardmethode?
Dr. Dr. Hirtz: Unsere Methode basiert auf mikroskopisch kleinen Oberflächenstrukturen, an denen Krebszellen hängen bleiben. Der Chip, der dafür verwendet wird, ist einfach zu handhaben und flexibel in der Anwendung. Durchschnittlich entdeckt unser Bluttest etwa die Hälfte der Tumorzellen, die im Anschluss untersucht werden können. Wir konnten in einigen Fällen Tumorzellen fangen, die das Standardverfahren nicht anzeigte.

jameda: Werden Ärzte die Metastasenbildung durch das neue Verfahren verhindern können?
Dr. Dr. Hirtz: Wenn der Arzt weiß, wie viele Krebszellen der Patient im Blut hat und wie stark der Krebs streut, kann er die Therapie besser anpassen und dadurch die Metastasenbildung vielleicht verhindern. Kann der Arzt die Krebszellen untersuchen, ist außerdem eine individuellere Anpassung der Therapie möglich. Früher wurden oft verschiedene Behandlungen ausprobiert, bis man eine fand, die greifen konnte. Gleich auf die individuell erfolgversprechendste Therapie zu setzen, spart Zeit, die in der Krebsbehandlung besonders wichtig ist. Der Bluttest hilft aber auch nach der Entfernung des Tumors, den Erfolg der Therapie zu überprüfen und womöglich verbliebene Krebszellen im Blut ausfindig zu machen.

jameda: Lässt sich das Verfahren auch präventiv nutzen?
Dr. Dr. Hirtz: Ich persönlich würde den Bluttest auf jeden Fall machen wollen, wenn das Verfahren ausgereift und damit verlässlicher ist. Je früher man von Krebszellen weiß, desto besser. Momentan ist der Bluttest aber sehr teuer und eher eine gezielte Methode zur Therapiebegleitung. Wenn er nicht mehr teurerer ist als andere Bluttests, wäre ein umfangreicher Einsatz sinnvoll.

jameda: Frau Dr. Heine, Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, neue immuntherapeutische Verfahren zu entwickeln. Immuntherapien nutzen die körpereigenen Abwehrkräfte im Kampf gegen den Krebs: Sie helfen dem Immunsystem, Krebszellen, die sonst schwer zu erkennen sind, ausfindig zu machen und anzugreifen. Wie funktioniert die RNA-basierte Immuntherapie, an der Sie gerade arbeiten? 
Dr. Heine: Bei meinen Untersuchungen handelt es sich um eine Art Tumor-Impfung. Für eine solche Impfung kann man dem Patienten als Tumor-Antigene geeignete Eiweiße verabreichen, die eine Immunantwort im Körper auslösen. Die Folge: Die Tumorzellen werden zerstört, die das Tumor-Antigen auf der Oberfläche tragen. So werden sehr spezifisch die Tumorzellen und keine anderen wichtige Zellen des Körpers eliminiert. Statt des Eiweißes kann man als Impfung jedoch auch direkt die komplette „Bauanleitung“ des Antigens nutzen – das ist die RNA-basierte Immuntherapie.

jameda: Sie haben bereits eine Impfstudie bei Patienten mit Nierenzellkarzinom durchgeführt. Inwieweit verbesserte diese Impftherapie die Lebensqualität und die Lebenserwartung der Patienten?  
Dr. Heine: Trotz der Entwicklung neuer Therapien leben nur noch 12 Prozent der Patienten mit metastasierten Nierenzellkarzinom nach fünf Jahren. Je nach Risikogruppe ist nach 10 bis maximal 20 Monaten noch die Hälfte der Patienten am Leben. Das mediane Überleben mit unserer Impfung betrug für fortgeschrittene Stadien 24,5 Monate, ein Patient überlebte sogar 89 Monate. Nicht zuletzt ist diese Studie mit mehr als 10 Jahren Nachbeobachtungszeit die einzige RNA-Studie, die eine derart lange Nachbeobachtungszeit und Sicherheit zeigte. Nicht jeder Patient spricht auf eine Immuntherapie an, aber die, die ansprechen, zeigen häufig ein oftmals erstaunlich langes Überleben.

jameda: Ist absehbar, wann Patienten von der neuen Therapie profitieren können?
Dr. Heine: Der Einsatz der sog. Checkpoint-Antikörper, die dem Immunsystem einen Schub geben, ist beim Melanom bereits zugelassen und wurde auch zur Behandlung von Lungenkrebs eingesetzt. Obwohl es bereits viele Untersuchungen zu Tumorimpfungen gibt, ist die neue Methode bisher nicht bewilligt. Man muss bei einer klinischen Studie mitmachen, um eine solche Behandlung erhalten zu können. Die erste und bisher einzige zugelassene Tumorimpfung ist „Sipuleucel-T“ gegen Prostatakrebs.

jameda: Eine starke Aktivierung des Immunsystems kann dazu führen, dass die Abwehrkräfte den Körper des Patienten angreifen. Berücksichtigen Sie diese Problematik in Ihrer Forschung?
Dr. Heine: Diese Art von auto-aggressiven Nebenwirkungen ist sehr ernst zu nehmen. Bei Tumorimpfungen ist das jedoch weniger ein Problem, umso bedeutender sind diese gegen den eigenen Körper gerichteten Nebenwirkungen jedoch bei den neuen sogenannten Checkpoint-Inhibitoren, die gerade zugelassen wurden. Da diese Inhibitoren jedoch auch bei Patienten wirken können, die sonst auf keine Therapie mehr ansprechen, ist für den einzelnen Patienten der potentielle Gewinn oftmals größer als das Risiko. Zudem kann man diese Nebenwirkungen meist gut behandeln, wenn man sie frühzeitig erkennt. Daher ist eine engmaschige Anbindung an einen Experten, der sich immunonkologisch auskennt, sehr wichtig.

jameda: Wie wollen Sie Ihre Forschung weiter ausbauen?
Dr. Heine: Neben der Entwicklung von neuen Tumorimpfungen erforsche ich, welche Adjuvantien den Erfolg der Immuntherapie noch weiter optimieren können. Adjuvantien sind Immunverstärker, die eine Immunantwort auf verschiedenen Ebenen deutlich verbessern können. Außerdem untersuche ich, wie bestimmte Immunzellen, die eine Immunantwort hemmen, besser beseitigt werden können und damit die Krebsbekämpfung effektiver machen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Kombination dieser Strategien mit den neuen Checkpoint-Inhibitoren, die die Bremse des Immunsystems lösen und eine bereits eingeleitete Immunantwort verstärken können. Ich denke, die Zukunft der Immuntherapie wird in einer solchen Kombination von Substanzen mit verschiedenen Angriffspunkten liegen.

jameda: Vielen Dank für das Interview!

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