Artikel 25/04/2025

ADHS bei Männern: Wenn innere Unruhe den Alltag bestimmt – und wie Schematherapie helfen kann

Carlson El Murtadi M.Sc. Heilpraktiker für Psychotherapie
Carlson El Murtadi M.Sc.
Heilpraktiker für Psychotherapie

Viele Männer erleben im Alltag einen hohen inneren Druck. Sie gelten als kreativ, leistungsfähig und empathisch, gleichzeitig fällt es ihnen jedoch schwer, organisiert zu bleiben, sich zu konzentrieren oder zur Ruhe zu kommen. Häufig wirken sie nach außen reizbar, vergesslich oder chaotisch. Diese Herausforderungen führen oft zu Problemen im Berufsleben, in Partnerschaften oder im persönlichen Wohlbefinden. Was dabei zunächst wie ein Persönlichkeitsproblem erscheint, kann eine klar definierte Ursache haben: ADHS im Erwachsenenalter.

Schwarzweiß Foto eines Mannes, der einen Tunnel entlang auf ein Licht zugeht.

Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung wurde lange Zeit vor allem mit Kindern in Verbindung gebracht. Heute weiß man jedoch, dass die Symptome bei rund 60 Prozent der Betroffenen auch im Erwachsenenalter bestehen bleiben. Gerade bei Männern bleibt ADHS oft lange unentdeckt – sei es, weil sie Symptome über Jahre durch Perfektionismus, ständige Aktivität oder übermäßiges „Funktionieren“ kompensieren, oder weil die typischen Anzeichen nicht als Teil eines Störungsbildes erkannt werden.

Im Erwachsenenalter zeigt sich ADHS in der Regel weniger durch körperliche Unruhe, sondern eher durch eine Mischung aus innerem Getriebensein, Konzentrationsproblemen, starker Reizoffenheit und hoher Selbstkritik. Männer mit ADHS berichten häufig von Gedankensprüngen, Problemen mit der Aufgabenplanung, emotionalen Ausbrüchen und Stimmungsschwankungen. Auch Einschlafprobleme, Grübelneigung oder ein insgesamt wenig erholsamer Schlaf gehören zu den typischen Begleiterscheinungen. Viele erinnern sich rückblickend, dass sie sich bereits in der Kindheit „anders“ fühlten – etwa durch Tagträumerei, motorische Unruhe oder das Gefühl, nicht richtig dazuzugehören. Später im Leben wird versucht, diese Empfindungen durch übermäßige Leistungsbereitschaft zu kompensieren – was häufig in Erschöpfung oder Burnout mündet.

Ein zentrales Thema bei Männern mit ADHS ist der innere Kritiker. Viele Betroffene leiden unter tief verankerten Selbstzweifeln. Das wiederholte Gefühl, trotz großer Anstrengung wichtige Dinge nicht zu schaffen, führt zu negativen Überzeugungen wie „Ich bin nicht gut genug“, „Ich kriege mein Leben nicht auf die Reihe“ oder „Alle anderen schaffen das doch auch“. Solche Denkmuster nennt man in der Psychotherapie Schemata – emotionale Grundüberzeugungen, die meist in der Kindheit entstehen und in belastenden Situationen wieder aktiviert werden. Sie führen zu automatisierten Reaktionen wie Rückzug, Überanpassung oder Selbstabwertung. Ein Betroffener beschreibt dieses Gefühl so: „Ich hatte immer das Gefühl, zu viel zu sein – zu laut, zu schnell, zu unkonzentriert. Heute weiß ich: Ich war nicht zu viel. Ich war einfach nicht verstanden.“

Hier setzt die Schematherapie an. Sie ist eine moderne psychotherapeutische Methode, die auf der kognitiven Verhaltenstherapie basiert, diese aber um emotionale und biografische Aspekte erweitert. Ziel ist es, alte, belastende Muster zu erkennen, sie einzuordnen und neue, gesündere Verhaltensweisen zu entwickeln. In der Behandlung von ADHS hilft die Schematherapie unter anderem dabei, emotionale Reaktionen besser zu verstehen, unrealistische Ansprüche an sich selbst zu hinterfragen, konstruktiver mit innerer Kritik umzugehen, das Selbstwertgefühl zu stärken und impulsives Verhalten zu regulieren. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Arbeit mit sogenannten „Modi“ – inneren Persönlichkeitsanteilen, die je nach Situation aktiv werden. Dazu zählen zum Beispiel der „bestrafende Elternmodus“, der harte Selbstvorwürfe formuliert, oder der „verletzte Kindmodus“, in dem Gefühle wie Hilflosigkeit oder Einsamkeit dominieren. Ziel der Therapie ist es, den „gesunden Erwachsenenmodus“ zu stärken – also die innere Stimme, die klar, empathisch und handlungsfähig bleibt.

Ein Fallbeispiel verdeutlicht das: Ein 42-jähriger Patient kam mit der Diagnose ADHS in die Praxis, begleitet von starker Reizbarkeit, chronischem Schlafmangel und einem ausgeprägten Gefühl des inneren Versagens – trotz objektivem beruflichen Erfolg. Im Verlauf der Therapie wurde deutlich, dass hinter seinem ständigen Leistungsdruck ein früh erlerntes Muster stand: „Nur wer stark ist, wird akzeptiert.“ In der Schematherapie lernte er, dieses Muster zu erkennen, mitfühlend zu hinterfragen und neue, entlastende Verhaltensweisen zu entwickeln. Die Folge: mehr innere Ruhe, besserer Schlaf, strukturierterer Alltag – und ein verändertes Selbstbild.

Besonders Männer mit ADHS bringen häufig geschlechtsspezifische Prägungen mit, etwa die Vorstellung, stark sein zu müssen, keine Schwäche zeigen zu dürfen oder Gefühle nicht offen auszusprechen. Diese Rollenvorstellungen stehen oft im Widerspruch zu den tatsächlichen Bedürfnissen und Belastungen, die mit ADHS einhergehen. Die Schematherapie bietet hier einen Zugang, der nicht nur Symptome behandelt, sondern Raum für persönliche Entwicklung schafft – individuell, respektvoll und mit einem klaren Fokus auf Selbstwirksamkeit.

Wenn Sie sich in diesen Beschreibungen wiedererkennen, kann es hilfreich sein, erste Schritte in Richtung Selbstbeobachtung und Unterstützung zu gehen. Ein einfaches Tagebuch kann helfen, herauszufinden, in welchen Situationen Stress, Ablenkung oder emotionale Überforderung auftreten. Achten Sie bewusst auf Ihren inneren Dialog – also darauf, wie Sie mit sich selbst sprechen. Und erlauben Sie sich Pausen und Struktur, nicht als Zeichen von Schwäche, sondern als Teil einer gesunden Selbstführung. Auch professionelle Begleitung kann sinnvoll sein – idealerweise durch eine Therapeutin oder einen Therapeuten mit Erfahrung in der Arbeit mit ADHS und Schematherapie.

Fazit: ADHS im Erwachsenenalter ist kein Randphänomen – und kein Grund, sich zu verstecken. Männer mit ADHS verfügen häufig über besondere Stärken: Kreativität, Einfühlungsvermögen, Begeisterungsfähigkeit, Lösungsorientierung. Wenn diese Ressourcen gestärkt und gleichzeitig belastende Denk- und Verhaltensmuster erkannt und verändert werden, kann echte Entwicklung entstehen. Die Schematherapie bietet hierfür einen wirksamen und respektvollen Weg – jenseits von Schubladendenken und Schuldgefühlen.

Hinweis: Dieser Artikel ersetzt keine medizinische oder psychotherapeutische Diagnose oder Behandlung. Wenden Sie sich bei Verdacht auf ADHS an eine:n Fachärzt:in oder Therapeut:in mit entsprechender Qualifikation.

Die Veröffentlichung dieser Inhalte durch jameda GmbH erfolgt mit ausdrücklicher Genehmigung der Autoren. Die Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und jede Art der Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtes bedürfen der schriftlichen Zustimmung der jeweiligen Autoren.

Die Inhalte der Experten Ratgeber ersetzen nicht die Konsultation von medizinischen Spezialisten. Wir empfehlen Ihnen dringend, bei Fragen zu Ihrer Gesundheit oder medizinischen Behandlung stets eine qualifizierte medizinische Fachperson zu konsultieren. Der Inhalt dieser Seite sowie die Texte, Grafiken, Bilder und sonstigen Materialien dienen ausschließlich Informationszwecken und ersetzen keine gesundheitlichen Diagnosen oder Behandlungen. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Meinungen, Schlussfolgerungen oder sonstige Informationen in den von Dritten verfassten Inhalten ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors darstellen und nicht notwendigerweise von jameda GmbH gebilligt werden. Wenn die jameda GmbH feststellt oder von anderen darauf hingewiesen wird, dass ein konkreter Inhalt eine zivil- oder strafrechtliche Verantwortlichkeit auslöst, wird sie die Inhalte prüfen und behält sich das Recht vor, diese zu entfernen. Eigene Inhalte auf unserer Website werden regelmäßig sorgfältig geprüft. Wir bemühen uns stets, unser Informationsangebot vollständig, inhaltlich richtig und aktuell anzubieten. Das Auftreten von Fehlern ist dennoch möglich, daher kann eine Garantie für die Vollständigkeit, Richtigkeit und Aktualität nicht übernommen werden. Korrekturen oder Hinweise senden Sie bitte an experten-ratgeber@jameda.de.


www.jameda.de © 2025 - Wunscharzt finden und Termin online buchen.

Diese Webseite verwendet Cookies.
Surfen Sie weiter, wenn Sie unserer Cookie-Richtlinie zustimmen.