
Wenn ein Kind nicht mehr essen möchte, ist das für Eltern oft ein stiller, aber zutiefst erschütternder Alarm. Vielleicht ist auch Unverständnis die erste Reaktion, wenn das Normalste der Welt plötzlich zum Problem wird. Essen, das einst Verbindung bedeutete beim gemeinsamen Kochen oder Genießen, wird zur Quelle von Konflikten. Aus Wut entstehen Tränen und möglicherweise resigniertes Schweigen. Eltern fragen sich: Bin ich schuld daran? Was kann ich tun?
Appetitlosigkeit ist im Kindes- und Jugendalter erstmal nichts Ungewöhnliches. Stress, Wachstumsphasen oder auch familiäre Veränderungen können den Appetit beeinflussen – genau wie bei Erwachsenen auch. Doch wenn Mahlzeiten dauerhaft vermieden oder heimlich entsorgt werden, das Kind an Gewicht abnimmt oder das Thema „Körper“ und „Kontrolle“ überhandnimmt, lohnt sich ein genauerer Blick. Frühzeitig Hilfe zu holen bedeutet Verantwortung zu übernehmen. An dieser Stelle möchte ich Eltern ausdrücklich dazu ermutigen, auf ihr eigenes Bauchgefühl zu hören, wenn sie denken, dass etwas schiefläuft.
Kinder und Jugendliche mit Essstörungen erleben häufig tiefe inneren Konflikte. Gut gemeinte Appelle wie „Iss doch bitte“ oder „Du musst doch zunehmen“ verstärken oft das Gefühl, nicht verstanden zu werden. Was stattdessen hilft: Interesse zeigen, ohne zu drängen. Offene Fragen stellen. Da sein. Raum lassen für Angst, Wut, Scham – ohne diese Gefühle zu bewerten. Das wichtigste Signal: Ich sehe dich mit deinen Gefühlen und Herausforderungen, auch wenn ich nicht mit den Handlungen (oder Nicht-Handlungen) einverstanden bin.
Sprache spielt eine große Rolle. Statt „Du musst wieder normal essen“ könnte man sagen: „Ich mache mir Sorgen, weil ich dich liebe und mir deine Gesundheit am Herzen liegt.“ Statt „Du siehst viel zu dünn aus“: „Ich vermisse deine Lebendigkeit.“ Auch beim Thema Körperbild ist Achtsamkeit gefragt – nicht nur gegenüber dem Kind, sondern auch im eigenen Sprachgebrauch über sich selbst. Kinder haben Fledermausohren, wenn wir über unsere „Problemzonen“ sprechen – und ziehen ihre eigenen Schlüsse daraus.
Wenn das Kind über längere Zeit zu wenig isst, sich sozial zurückzieht oder das Körperbild zunehmend verzerrt erscheint, ist es wichtig, Unterstützung zu holen. Essstörungen sind ernstzunehmende psychische Erkrankungen, die nicht „ausgewachsen“ oder „wegdiskutiert“ werden können. Kinderärzt:innen, Beratungsstellen, Psychotherapeut:innen oder spezialisierte Ernährungsberater:innen können gemeinsam mit der Familie Wege entwickeln, um aus dem Kreislauf auszusteigen.
In der Begleitung eines Kindes mit Essstörung geraten Eltern oft an ihre eigenen Grenzen. Sie fühlen sich hilflos, erschöpft oder schuldig. Doch Selbstfürsorge ist kein Luxus, sondern Notwendigkeit. Es ist okay, sich selbst Unterstützung zu holen – in Form von Beratung, Austauschgruppen oder Therapie. Denn nur wer selbst genügend Energie hat, kann auch Kraft geben.
Fazit:
Essen ist mehr als Nährstoffaufnahme – es ist Beziehung, Identität, Kommunikation. Wenn das Essen leiser wird, braucht es Eltern, die hinhören. Nicht perfekt. Nicht allwissend. Sondern mit offenem Herzen, einem wachen Blick – und dem Mut, gemeinsam neue Wege zu gehen.
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