Artikel 17/06/2016

Was tun bei einem Bandscheibenvorfall? Ursachen, Symptome und Behandlung

Dr. med. Timmo Koy Orthopäde & Unfallchirurg, Spezieller Unfallchirurg, Wirbelsäulenchirurg
Dr. med. Timmo Koy
Orthopäde & Unfallchirurg, Spezieller Unfallchirurg, Wirbelsäulenchirurg
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Ein stechender Schmerz im unteren Rücken, Ausstrahlung bis in Bein und Fuß, Sensibilitätsstörungen - allein in Deutschland werden jährlich 800.000 Bandscheibenvorfälle diagnostiziert. Dabei gleicht kein Bandscheibenvorfall (Diskusprolaps) dem anderen. Welche Behandlung erfolgt, hängt immer von der Lage, der Größe sowie dem Ausmaß des Vorfalls ab. Gezielte Krankengymnastik, Kräftigungstraining und eine effektive Schmerztherapie reichen häufig aus, damit der Bandscheibenvorfall kleiner wird und somit nicht mehr die Nervenwurzel oder andere Strukturen bedrängt. Erst wenn alle konservativen Maßnahmen versagen, sollte der Bandscheibenvorfall operiert werden. Ziel ist es immer, Schmerzfreiheit und Beweglichkeit zu erreichen, um die aktive Teilnahme des Patienten in Beruf und Freizeit zu ermöglichen.

Wie kommt es zu einem Bandscheibenvorfall?

Bewegungsmangel, Fehlhaltungen oder dauerhafte, einseitige Belastung können der Wirbelsäule extrem zu schaffen machen. Die Bandscheiben, die als Puffer zwischen den einzelnen Wirbeln liegen und die Aufgabe haben, die Last gleichmäßig auf das Rückgrat zu verteilen, verlieren mit der Zeit an Elastizität.

Sie trocknen zunehmend aus, werden porös und verlieren so nach und nach ihre Pufferwirkung. Mit der Zeit bekommt der äußeren Faserring (Anulus fibrosus) kleinere Einrisse. Die Bandscheibe verliert ihre Form und wölbt sich über den Wirbelkörper in Richtung Rückenmarkskanal. Damit ist bereits eine Vorstufe des Bandscheibenvorfalls - die Bandscheibenvorwölbung (Protrusion) - erreicht.

Jetzt heißt es Achtung: Denn bereits die geringste Fehl- oder Überlastung der Bandscheibe, beispielsweise durch eine ruckartige Bewegung des Rumpfes oder schweres Heben, kann dazu führen, dass der Faserring komplett reißt und ein Teil der gallertigen Masse des Bandscheibenkerns (Nucleus pulposus) in den Rückenmarkskanal gepresst wird. Wird eine Nervenwurzel dabei komprimiert, kommt es zu massiven Schmerzen, häufig verbunden mit Sensibilitätsstörungen oder Lähmungserscheinungen. In einem solchen Fall ist umgehend ein Wirbelsäulenspezialist aufzusuchen.

Wo kann ein Bandscheibenvorfall auftreten?

Betroffen sind vor allem die Bandscheiben im unteren Bereich der Lendenwirbelsäule (L4/L5) und (L5/S1) sowie im unteren Abschnitt der Halswirbelsäule (HWK 5/6 und 6/7), da hier sowohl die Belastung als auch Beweglichkeit am größten ist.

Die Mehrzahl der Bandscheibenvorfälle tritt im mittleren Alter zwischen 45 und 55 Jahren auf. Die Bandscheiben zeigen bei Menschen dieser Altersklasse bereits erste Verschleißerscheinungen, verfügen jedoch noch über einen ausreichenden Quelldruck, um bei Belastung aus dem Faserring gepresst zu werden.

Welche Symptome zeigt ein Bandscheibenvorfall?

Ob ein Bandscheibenvorfall Symptome verursacht und welche Beschwerden auftreten, hängt zum einen von seiner Lokalisation ab und zum anderen davon, ob eine Nervenwurzel von dem austretenden Bandscheibenmaterial bedrängt wird.

Neben stechenden Schmerzen im betroffenen Wirbelsäulenabschnitt kann es auch zu einem Ausfall von Nervenfunktionen kommen.

Die Beschwerden reichen dann von Schmerzen im Bein über Sensibilitätsstörungen in Form von Taubheitsgefühlen oder Kribbeln bis hin zu Lähmungserscheinungen.

Dabei betreffen Schmerzen und Taubheitsgefühle bestimmte Areale (sogenannte „Dermatome“), welche für jede Nervenwurzel charakteristisch sind. Die Lähmungen entstehen in den von der betroffenen Nervenwurzel innervierten Muskeln, den sogenannten „Kennmuskeln“.

Auch diese sind spezifisch für jede Nervenwurzel (z.B. die Wadenmuskulatur für die Nervenwurzel S1).

Bei Lähmungserscheinungen, unerträglichen Schmerzen oder Blasen- und Darmstörungen sollte sofort ein Arzt aufgesucht werden. Manchmal liegt jedoch auch ein Bandscheibenvorfall vor, ohne dass der Betroffene Schmerzen verspürt.

Mögliche Symptome beim Bandscheibenvorfall in der Lendenwirbelsäule

  • Stechende Schmerzen im unteren Rücken
  • Ausstrahlung der Schmerzen über den Oberschenkel und das Kniegelenk bis in den Fuß
  • Verstärkung der Schmerzen durch Husten oder Niesen
  • Empfindungsstörungen (Ameisengefühl, Taubheit, Kribbeln)
  • Muskelschwäche und Lähmung im Bereich der Beine
  • Störung beim Wasserlassen und Stuhlgang, die mit einem Taubheitsgefühl im Anal- und Genitalbereich und auf der Innenseite der Oberschenkel verbunden sind.

Diese Symptome stellen immer einen medizinischen Notfall dar und müssen sofort behandelt werden!

Mögliche Symptome beim Bandscheibenvorfall in der Halswirbelsäule

  • Nackenschmerz, der häufig in die Schulter oder zwischen die Schulterblätter ausstrahlt
  • Taubheitsgefühl in Armen und/oder Fingern
  • Muskelschwäche und Lähmung im Bereich der Arme
  • Kopfschmerzen und Schwindel

Wie stellt der Arzt einen Bandscheibenvorfall fest?

Indem der Wirbelsäulenspezialist seinen Patienten ausführlich befragt, kann er bereits erste Hinweise auf das Vorliegen eines Bandscheibenvorfalls erhalten. Neben der Schilderung der Symptome stellt er gezielte Fragen:

  • Wo genau treten die Schmerzen auf?
  • Können Sie die Schmerzen beschreiben (Ziehen, Stechen, Kribbeln)?
  • Bei welchen Tätigkeiten treten die Schmerzen auf bzw. verstärken sich?

Darauf folgt eine eingehende körperliche Untersuchung. Anhand der Beschwerden ist der Arzt außerdem in der Lage zu beurteilen, in welchem Segment der Bandscheibenvorfall vorliegt.

Bei Verdacht auf einen Bandscheibenvorfall ordnet der Arzt eine Magnetresonanztomographie (MRT) an, um eine exakte Aussage über Größe, Ausdehnung und Verschleißzustand der Bandscheibe zu treffen.

Die bildgebenden Verfahren liefern nicht nur eine detaillierte Darstellung der Bandscheibe, sondern zeigen auch, inwieweit nervale Strukturen wie Rückenmark und Nervenwurzeln vom Bandscheibenvorfall betroffen sind.

Eine Röntgenuntersuchung ist weniger aussagekräftig, da nur knöcherne Strukturen wie die einzelnen Wirbelkörper, jedoch keine weichen Gewebestrukturen wie Bandscheiben und Nervengewebe, dargestellt werden können.

Die Behandlung

Glücklicherweise lassen sich mehr als 90 % der Fälle konservativ behandeln. Dazu gehört die Gabe schmerzstillender Medikamente, Wärmeanwendungen im Bereich der Lendenwirbelsäule sowie manuelle Therapie und Krankengymnastik.

Um zunächst vor allem die Schmerzen effektiv zu lindern, eine Chronifizierung zu vermeiden oder die Entzündung zu bekämpfen, ist es sinnvoll, begleitend zur medikamentösen Therapie, die so genannte periradikuläre Therapie (PRT) durchzuführen.

Hierbei werden unter bildgebender Kontrolle entzündungshemmende und schmerzstillende Mittel direkt an die betroffene Nervenwurzel oder in den Wirbelkanal (peridurale Injektion) injiziert.

Die PRT stellt eine sehr effektive Methode zur schnellen Schmerzreduktion dar. Der Patient sollte jedoch immer auch selbst aktiv werden: Neben einem gezielten Krafttraining, eignen sich vor allem leichte Ausdauersportarten wie Walking, Gymnastik oder Schwimmen.

Wann ist eine Operation notwendig?

Operiert werden sollte immer erst dann, wenn die Beschwerden trotz umfassender konservativer Behandlung mehr als sechs Wochen andauern, oder aber der Vorfall Nerven dauerhaft zu schädigen droht. Ein Notfall zur sofortigen OP liegt dann vor, wenn das Rückenmark hochgradig eingeengt ist und akute Lähmungen bestehen.

Bei der Bandscheibenoperation entfernt der Wirbelsäulenchirurg den in den Wirbelkanal ausgetretenen Bandscheibenvorfall.

Im besten Fall wird die Operation mikrochirurgisch über einen minimal-invasiven Zugang unter dem Operationsmikroskop durchgeführt. Hierzu wird auf Höhe der verletzen Bandscheibe ein ungefähr 2,5 Zentimeter langer Hautschnitt gesetzt, durch den die für den Eingriff benötigten Instrumente eingeführt werden.

Durch den Einsatz des Operationsmikroskops und der minimal-invasiven Operationstechniken sind die körperlichen Beeinträchtigungen des Patienten durch die Operation gering. Es ist in aller Regel ein Klinikaufenthalt von drei Nächten erforderlich. Nach drei bis sechs Wochen ist eine Rückkehr an den Arbeitsplatz möglich.

Fazit

Grundsätzlich ist die Prognose des Bandscheibenvorfalls sehr gut. Da der Bandscheibenvorfall durch den bindegewebigen Faserring der Bandscheibe nach außen in den Wirbelkanal vorgedrungen ist, kann er nicht mehr richtig mit Nährstoffen aus den angrenzenden Wirbelkörpern versorgt werden.

Er wird sukzessive kleiner und ist im günstigsten Fall nach circa 2-3 Monaten gar nicht mehr nachweisbar. Deshalb kann der Bandscheibenvorfall in circa 90% der Fälle konservativ behandelt werden.

Nur wenn der Druck die Nervenwurzel dauerhaft zu schädigen droht (dies ist in der Regel beim Auftreten alltagsrelevanter Lähmungserscheinungen der Fall), sollte der Bandscheibenvorfall operativ entfernt werden. Aber auch hier liegt die Wahrscheinlichkeit für ein den Patienten vollkommen zufriedenstellendes Operationsergebnis bei circa 80 %.

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