Ärzte haben einen besonderen Blick auf die Welt der Medizin. Damit Patienten hinter die Kulissen des Gesundheitswesens blicken können, stellte jameda Prof. Dr. med. Dietmar J. Daichendt interessante Fragen zu seinem Umgang mit Patienten und erhält hilfreiche Gesundheitstipps.
jameda: Herr Prof. Dr. Daichendt, was hat sie motiviert, Arzt zu werden?
Herr Prof. Dr. Daichendt: Medizin und die Aura des Heilenden hat mich spätestens seit der Lektüre des Buches „Der Medicus“ von Noah Gordon fasziniert. Ich las es 1987, als ich ins Gymnasium ging, zur Ablenkung während der Vorbereitung auf das Abitur. Schon nach dem zweiten Kapitel habe ich mich für den „Medizinertest“ angemeldet. Es gab keinen alternativen Berufswunsch mehr für mich. Da mir der Weg über das Medizinstudium und die anschließende Facharztausbildung jedoch als zu lang erschien, entschied ich mich für das Studium der Zahnmedizin. Dass ich nach der Zahnmedizin noch die Humanmedizin studieren würde, war für mich zu diesem Zeitpunkt nicht absehbar. Dieser Entschluss ist über Jahre gereift. So kam es, dass ich zwei aufwendige Studiengänge nacheinander studierte und den Studentenstatus ganze 12 Jahre genoss.
jameda: Was macht Ihnen im Praxisalltag am meisten Freude? Wo sehen Sie die größten Herausforderungen?
Herr Prof. Dr. Daichendt: Die Möglichkeit der kurzen Entscheidungswege ist für mich essentiell. Ich habe schon früh erkannt, dass ich mich entweder an der Spitze eines Ärzteteams in sehe oder selbständig werden will, um meine Ansprüche zu erfüllen. Beides habe ich umgesetzt. Als niedergelassener Arzt empfinde ich nun die größte Freude in einer kompetenten Beratung meiner Patienten, die größtmögliche Beachtung aller relevanten Aspekte, um dann mit dem Patienten gemeinsam zu entscheiden. Ich habe in über 14 Jahren eigener Praxistätigkeit den Patienten immer in Entscheidungen voll einbezogen. Mit mündigen und durch das Internet sehr aufgeklärten Patienten umzugehen empfinde ich als Bereicherung. Die größte Herausforderung – das trifft meines Erachtens auf die meisten Berufe zu – ist es eine stets gleichbleibend hohe Qualität seiner Arbeit aus eigenem Antrieb zu erfüllen und nie in seinen eigenen Bestrebungen sowie der Selbstkritik nachzulassen.
jameda: Welchen Vorurteilen begegnen Sie häufig in Ihrer Praxis?
Herr Prof. Dr. Daichendt: „Häufig“ eigentlich gar keinen. Gelegentlich jedoch wird einem pekuniäres Vordergrundinteresse unterstellt, wenn man mit den gesetzlichen Krankenkassen nicht abrechnet, also „Privatarzt“ ist. Ich habe mich mit Eröffnung meiner Praxis zu diesem wichtigen Schritt entschlossen, obwohl – oder vielleicht insbesondere – ich natürlich auch im gesetzlichen Krankenversichertensystem ausgebildet worden bin. Mir war jedoch eine patientenzentrierte, auch zeitintensive Berufsausübung aus einer Vielzahl von Gründen wichtig. Ein Weg, der sich leider im gesetzlichen Krankenkassensystem nicht beschreiten lässt. Oder kennen Sie einen Kassenarzt der routinemäßig eine Stunde pro Patient in seinem Terminkalender reserviert - Ich nicht.
jameda: Manche Krankheiten und Therapien sind unangenehm und verlangen viel Durchhaltevermögen vom Patienten. Was raten Sie Patienten in solchen Situationen?
Herr Prof. Dr. Daichendt: Tapfer sein und durchhalten. Und Lachen so oft es geht. Lieben und sich auf die wesentlichen Dinge des Lebens konzentrieren, Familie, Freunde, eine gute Flasche Wein oder meinetwegen selbstgepresster Apfelsaft. Auf keinen Fall lange mit dem Schicksal hadern, das hemmt und kostet wichtige Energie, die für die Heilung gebraucht wird.
jameda: Wie reagieren Sie, wenn Sie merken, dass ein Patient Ihren Therapieplan nicht befolgt?
Herr Prof. Dr. Daichendt: Abhängig von den Beweggründen, verständnisvoll. Es gibt eine Vielzahl denkbarer Ursachen für eine Therapieabweichung, oder einen Therapieabbruch. Man muss darüber reden und die Gründe erfahren. Wenn Sie inhaltlicher Natur sind, liegt meist ein Beratungsdefizit zu Grunde. Wenn Sie persönlicher Natur sind, sollte man sie respektieren und mit der eigenen Auffassung abgleichen. Wenn diese miteinander vereinbar sind, findet man einen neuen Weg, das ist ganz einfach. Aber in der Regel gibt es diesen Fall selten, da Therapieentscheidungen bei mir im Konsens mit dem Patienten getroffen werden.
jameda: Wenn Sie das Gesundheitssystem ändern könnten, was würden Sie als Erstes tun?
Herr Prof. Dr. Daichendt: Ich würde die Pflichtversicherung in der jetzigen Form abschaffen und die freie Versicherungswahl unabhängig vom Einkommen einführen. Soll doch jeder selbst entscheiden, wie viel Prozent des Einkommens in die Gesundheit fließen sollen. Zumindest aber würde ich private Zusatzversicherungen für die ambulante Versorgung zulassen. Ferner würde ich die Zulassung von Medikamenten, die nicht im Tierversuch erforscht wurden, erleichtern und Tierversuche weitgehend aus der Forschung verbannen. Davon abgesehen, dass sie mehrheitlich durch Alternativen ersetzt werden können, ist auch die Aussagekraft von Tierversuchen für die Humanmedizin höchst umstritten.
jameda: Kein Mensch ist perfekt. In welchen Bereichen haben Ärzte Ihrer Meinung nach Verbesserungspotential?
Herr Prof. Dr. Daichendt: Ich halte die Entwicklung in der Hochschulzugangsvoraussetzung für bedenklich. Durch die Beliebtheit medizinischer Studiengänge und die Herabsetzung des Abiturprüfungsniveaus in den letzten Jahren haben wir immer mehr Abiturienten mit einer „1“ vor dem Komma unter den Studienplatzbewerbern. Der Numerus clausus für das Studium der Humanmedizin in München liegt derzeit bei 1,1. Ich würde dem „Medizinertest“, also einem Test zur Eignungsprüfung spezifischer, ärztlich relevanter Fähigkeiten eine größere Gewichtung beimessen. Der Arztberuf erfordert die erfolgreiche Bündelung von Fleiß, Zielstrebigkeit, Selbstdisziplin und sozialer Kompetenz. Leider scheitern viele gute potentielle Ärztinnen und Ärzte am NC und gehen dem Berufsstand verloren. So wundert es nicht, dass manchmal schwerwiegende Diagnosen von Ärzten mit emotionaler Unterkühlung kommuniziert werden. Dies ist jedoch nur ein Aspekt und soll natürlich nicht heißen, dass alle Top-Abiturienten sozioemotionale Kompetenzdefizite haben und alle mittelmäßigen Abiturienten die besseren Menschen sind. Jedoch bedeutet Arzt sein, nahe am Leben sein, die Facetten menschlichen Lebens zu kennen. Die besten Ärzte bekommen wir, wenn wir 7 Jahre vorher die „besten“ Studenten auswählen.
jameda: Die Welt der Medizin verändert sich ständig. Gibt es neue Therapieverfahren oder Gerätschaften, die Sie in Ihrer Praxis anwenden?
Herr Prof. Dr. Daichendt: Meine Praxis und Praxisklinik ist mit modernster diagnostischer und therapeutischer Technologie ausgestattet. Durch meine über 10-jährige Zugehörigkeit zum Lehrkörper der Ludwig-Maximilians-Universität und meine Professuren bin ich stets über neue Entwicklungen der Medizin informiert. Diesen Anspruch habe ich an mich selbst. Sollte ich in einer Verfahrensweise mit den neuesten Methoden einmal nicht vertraut sein, verfüge ich über ein hervorragendes Netzwerk weit überregionaler Spezialisten, welche ich hinzuziehe.
jameda: Gibt es einen Patienten oder ein Erlebnis in Ihrer Praxis, das Sie nie vergessen werden?
Herr Prof. Dr. Daichendt: Viele…
jameda: Welchen Gesundheitstipp möchten Sie unseren Lesern mit auf den Weg geben?
Herr Prof. Dr. Daichendt: Weniger Fleisch essen und weniger Milchprodukte konsumieren. Kohlehydrate reduzieren, vor allem langkettige Kohlehydrate konsumieren. Eine vornehmlich vegetabile Kost gilt als gesündeste Kost. Nicht im Stehen oder Gehen essen. Der Nahrung den Stellenwert geben den sie verdient. Respektieren Sie die Nahrung, dann respektiert auch sie Sie. Denn man sieht so aus wie man lebt. Gesundheit als Summe von geistiger, seelischer und körperlicher Zufriedenheit betrachten und danach leben. Sport machen. Viel Lachen. Keinen schlechten Wein trinken. Rücksicht nehmen, auf sich und auf andere. Das hält körperlich und seelisch gesund. Mehr gibt’s nicht.
Prof. Dr. Dietmar Jürgen Daichendt studierte sowohl Zahn- als auch Humanmedizin an der LMU, München, bevor er in Bochum promovierte. Er ist Professor der privaten Hochschule für Gesundheit und Sport in Berlin und wurde 2015 auf die erste deutsche Professur für Osteopathische- und Manuelle Medizin der Steinbeis-Hochschule Berlin berufen.
2009 gründete Prof. Dr. Daichendt die „Praxisklinik an der Isar“. In der privatärztlichen Spezialpraxisklinik liegt der Schwerpunkt auf einer speziellen Schmerztherapie, der ärztlichen Osteopathie und der Manuellen Medizin. Sie ist eine Lehrpraxisklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München.
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