Artikel 06/04/2017

Bandscheibenvorfall an der Halswirbelsäule: Wann die OP wirklich notwendig ist

Team jameda
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Wenn ein Kind am Brunnenrand sitzt und sich immer weiter nach vorne lehnt, um in die Tiefe zu schauen, haben Sie zwei Möglichkeiten. Entweder Sie verhalten sich hochpädagogisch und verdeutlichen, dass man aus Fehlern am besten lernt, oder Sie holen das Kind vom Brunnenrand weg - auch wenn es dann nicht versteht, in welcher Gefahr es sich befand. Bei Patienten, die unter einer Einengung des Wirbelkanals im Halswirbelsäulenbereich leiden, befindet sich der Arzt in einem ähnlichen Dilemma. Denn häufig zeigen die kernspintomografischen Aufnahmen eine Einengung des Spinalkanals, ohne dass der Patient Schmerzen verspürt.

Wie sich Patienten verhalten sollten, verrät dieser Artikel.

Welche Rolle spielt das Rückenmark?

Innerhalb des Spinalkanals verläuft das Rückenmark. Es ist eine der wichtigsten Strukturen, die unser Körper hat, denn das Rückenmark ist eine Verlängerung des Gehirns. Jegliche Informationen, die an unsere Muskeln weitergegeben werden und die zu unserem Gefühls- sowie zu unserem Schmerz- und Temperaturempfinden beitragen, werden so zurück ins Gehirn geleitet. Unser Rückenmark ist sehr empfindlich, weshalb es im knöchernen Spinalkanal unserer Wirbelsäule liegt – hier ist es am besten geschützt.

Da die Wirbelsäule aber beweglich sein muss, kann sie nicht durchgehend wie ein knöchernes Rohr aufgebaut sein. Die Natur hat sich deshalb einen Schutzmechanismus ausgedacht, der das Rückenmark vor Erschütterungen bewahren soll – den sogenannten Hirnhautschlauch.

Dieser Hirnhautschlauch ist von Hirnwasser umgeben und hat zahlreiche Aufgaben. Eine davon ist, Erschütterungen um das Rückenmark herum abzuleiten. Bandscheibenvorfälle oder Bandverdickungen (Stenosen) engen diesen Raum ein. Fehlt er, fehlt auch dieser zweite Schutz. Unser Rückenmark kann sehr lange unter Druck stehen, bevor es zu Ausfällen kommt – der Patient bemerkt Gefahren aus diesem Grund oft gar nicht.

Fallbeispiel

Ärzte lernen bereits in ihrer Ausbildung, keine Bilder, sondern die Symptome des Patienten zu behandeln. So wurde bei einem jungen Mann durch Zufall ein großer Bandscheibenvorfall entdeckt, weil er immer Kopfschmerzen hatte. Es wurde ein Schädel-MRT angefertigt, auf dem man den Bandscheibenvorfall gerade noch sehen konnte. Da er fast beschwerdefrei war, wollte er jedoch nicht operiert werden. Einige Tage später wurde er mit einem partiellen (teilweisen) Querschnitt eingewiesen. Er hatte längere Zeit den Kopf in den Nacken gehalten und dann plötzlich gemerkt, dass die Arme und Beine nicht mehr gehorchen.

Rein statistisch gesehen, passiert das nur sehr selten und dieser Patient hatte Glück, denn der größte Teil der Symptomatik bildete sich nach der Operation zurück.

Ein Argument, warum sich der Patient zuvor gegen die Operation entschieden hatte, war, dass ihm alle sagten, dass heutzutage viel zu viel operiert wird und auch seine Frau der Meinung war, dass die Ärzte nur operieren wollen, um Geld zu verdienen. Tatsache ist, dass in der heutigen Zeit mehr operiert wird als früher - aber bedeutet mehr Operieren gleichzeitig auch zu viel Operieren?

Früher lernten Ärzte, dass man Patienten nur operieren soll, wenn es bereits einen oder mehrere Ausfälle gibt. Waren die Symptome nach der Operation verschwunden, war der Operateur der Meinung, er hätte das Kind aus dem Brunnen gerettet. Blieben die Symptome jedoch bestehen, vertrat er den Standpunkt, dass der Patient einfach zu spät gekommen sei.

Inwiefern können Ärzte Symptome wegoperieren?

Um diese Frage zu verstehen, sollten Sie wissen, wie Symptome überhaupt entstehen. Bei einem Bandscheibenvorfall wird Druck auf die Nervenwurzel ausgeübt. Dieser Druck führt zunächst dazu, dass das Gehirn ein Alarmsignal erhält – der Patient hat Schmerzen. Diese Beschwerden wiederum führen dazu, dass sich die Muskulatur verspannt, um das betroffene Segment ruhig zu stellen.

Deswegen ist es unlogisch, Patienten in dieser Phase einen Vortrag über schwache Rückenmuskulatur zu halten und sie zum Sport zu animieren. In dieser Phase braucht der Körper

Ruhe, damit er sich selbst darum kümmern kann, das Bandscheibengewebe abzubauen und so den Druck auf das Nervengewebe zu senken.

Wird der Druck auf das Nervengewebe aber verstärkt, löst das nicht nur Schmerzen aus, sondern klemmt auch Nervenbahnen ein, die andere Funktionen haben wie z.B. Sensibilität oder Motorik.

Der Patient verspürt infolgedessen ein Taubheitsgefühl und Schwäche in den Armen oder Beinen – spätestens jetzt ist Gefahr in Verzug, denn diese körperlichen Ausfälle sind nur über eine gewisse Zeit lang reversibel.

Was passiert, wenn die Symptome unbehandelt bleiben?

Wird der Druck zu groß oder wirkt er zu lange auf das Nervengewebe, dann kommt es zu biochemischen Vorgängen, die nicht mehr die Aufgabe haben, dass Bandscheibengewebe zu reduzieren, sondern die Nerven schädigen und irgendwann auch zu biologischen Veränderungen führen – dem chronischen, irreversiblen Nervenschaden.

Wann ist der richtige Zeitpunkt für eine Operation?

Diese Erkenntnis hat dazu geführt, dass Operationsindikationen heutzutage früher gestellt werden, denn niemand kann sagen, ob sich die Symptomatik nach einem Eingriff wieder zurückbildet. Heute ist auch klar, dass Kollateralschäden konservativ behandelter Patienten immer mehr zunehmen, da degenerative Prozesse langsam ablaufen und somit immer mehr Patienten im höheren Alter betroffen sind.

Der Erfolg einer Operation hängt nicht nur von der Erfahrung des Chirurgen ab, sondern auch vom richtigen Zeitpunkt. Die Formel dafür ist ganz einfach – wird die Symptomatik nach der Operation besser, wurde rechtzeitig operiert, wird sie nicht besser, kam die Hilfe bereits zu spät. Natürlich bringt dies für die Entscheidung für oder gegen eine OP nur wenig. Woher weiß der Patient also, ob er sich operieren lassen sollte?

Ein Kriterium ist die Entwicklung der Symptomatik - nimmt sie zu oder zeigt sich keine Besserung, ist das ein Zeichen dafür, dass die Natur nicht mehr alleine zurechtkommt und Hilfe benötigt. Eine Operation bewirkt nichts anderes, als die Natur wieder in die Lage zu versetzen, sich selbst zu helfen.

Ein anderes Kriterium ist, wenn der Patient im vorneherein weiß, dass seine Erkrankung fortschreiten wird – die Natur kann dann zwar den Bandscheibenvorfall resorbieren, also „reparieren“, bei einer Einengung des Spinalkanals schreitet der Prozess dennoch weiter voran. Eine Operation ist also irgendwann notwendig und sollte deswegen so früh wie möglich durchgeführt werden, damit die Situation nicht zu gravierend wird.

Wie sicher machen neue Operationstechniken den Eingriff?

Auch wenn die Zahl der Operationen deutlich zugenommen hat, ist die Anzahl der Komplikationen deutlich zurückgegangen. Durch die Einführung des Operationsmikroskops und die Weiterentwicklung des Instrumentariums sind Wirbelsäulenoperationen, insbesondere im Bereich der Halswirbelsäule, bei denen der Arzt auf engstem Raum arbeitet, sehr sicher geworden.

Durch den Einsatz des Bone Scalpells, das mit Ultraschall den Knochen abträgt, dabei aber nicht die weichen Strukturen wie Nerven oder Gefäße beschädigt, ist es z.B. möglich, die Nerven extrem schonend von Druck zu befreien. Des Weiteren ersetzen Bandscheibenprothesen inzwischen in den Spezialkliniken die übliche Versteifung der Wirbelsäulen und geben der Wirbelsäule so wieder mehr Stabilität und Mobilität.

Soll oder muss jeder Wirbelsäulenschaden operiert werden?

Die Antwort ist ganz klar: Nein! Die Selbstheilungskräfte der Natur sind enorm. Durch gezielte Mikronährstofftherapie und alternative Therapiemaßnahmen wie Akupunktur kann man die Natur in ihrem Heilungsprozess optimal unterstützen. Leider werden diese Therapieformen noch viel zu wenig genutzt.

Physiotherapie beispielsweise kann, richtig eingesetzt, dem Patienten dabei helfen, die Symptomatik besser zu ertragen und nachhaltig ein erneutes Auftreten zu vermeiden. In der Phase der akuten Reizung sind sanfte, passive Methoden wie manuelle Therapie, Massagen, Lymphdrainagen und Wärmeanwendungen sinnvoll, später kann dann zusätzlich der langsame Muskelaufbau Abhilfe verschaffen.

Chirotherapie hilft zwar in den meisten Fällen schnell, sollte aber sehr vorsichtig eingesetzt werden. Extrem langsame Streckungen können zudem Erleichterung bringen. Das klassische Einrenken ist aber vor allem im Bereich der Halswirbelsäule verboten, da man weiß, dass es Druck auf das Nervengewebe abgibt, der fatale Folgen haben kann. Chirotherapie darf deshalb nur bei reinen Muskelverspannungen angewandt werden.

Heilen kann sich die Natur nur selbst – einen Bandscheibenvorfall können Sie nicht mit konservativer Therapie zum Verschwinden bringen! Entweder er resorbiert sich oder er muss operativ entfernt werden.

Bei fast allen anderen Erkrankungen sind die Reparaturmechanismen der Natur nicht ganz so unproblematisch – sei es nun der Anbau von Bändern und Knochen (Stenose) oder die Überbauung der Gelenke (Arthrose).

Fazit

Rein statistisch wird nur ein geringer Anteil von Patienten, die Wirbelsäulenbeschwerden haben, operiert. Bei den meisten Patienten schafft es die Natur alleine oder die Ausprägung ist nicht so gravierend, dass eingegriffen werden muss.

Wichtig ist nur, dass frühzeitig die richtige Diagnostik inklusive Beratung erfolgt, um für jeden Patienten einen optimalen und individuellen Behandlungsplan zu erstellen.

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