Artikel 09/09/2017

Erst Kribbeln, dann Lähmungen: Symptome, Verlauf und Therapie der Polyneuropathie

Team jameda
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Eine Polyneuropathie schleicht sich meistens langsam an. Die Beschwerden sind zunächst unscheinbar, können aber schwerwiegende Folgen haben. Lesen Sie hier, was eine Polyneuropathie ist, wie sie sich äußert und welche Vorbeugungs- und Therapiemaßnahmen möglich sind.

Definition

Die Polyneuropathie, auch PNP-Krankheit genannt, ist die gestörte Weiterleitung der Nervenimpulse entlang der motorischen oder der sensorischen peripheren Nerven außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks. Die motorischen peripheren Nerven steuern die Muskeltätigkeit, wobei die sensorischen peripheren Nerven normalerweise Reize, wie zum Beispiel Schmerz, an das Gehirn weiterleiten.

Auch die autonomen Nerven können betroffen sein, die die Funktion der inneren Organe wie Harnblase, Magen, Darm, Leber, Bauchspeicheldrüse und Herz kontrollieren.

Bei einer Polyneuropathie ist die Nervenleitgeschwindigkeit beeinträchtig, das heißt, dass die elektrischen Impulse entlang der Nervenfasern langsamer weitergeleitet werden.

Die Polyneuropathie ist recht selten: Einer von 2.000 Menschen erkrankt daran.

Ursachen und Risikofaktoren

Polyneuropathie tritt auf, wenn mehrere Nervenfasern geschädigt oder zerstört sind, zum Beispiel durch erhöhte Blutzuckerwerte, die kleine Blutgefäße verstopfen.

Die häufigsten Ursachen für die Schädigung der Nervenfasern sind Diabetes, der die sogenannte diabetische Polyneuropathie verursacht, und chronischer Alkoholmissbrauch, der zur alkoholischen Polyneuropathie führt.

Weitere Ursachen sind:

  • Infektionskrankheiten wie zum Beispiel Diphtherie, Typhus oder AIDS
  • gestörte Funktion des Abwehrsystems, das Antikörper gegen die Nerven bildet
  • Stoffwechselerkrankungen
  • Vitamin-B-12-Mangel
  • Veganismus mit komplettem Verzicht auf Eier, Milch- und Fleischprodukte
  • Magenoperationen
  • Nieren- und Lebererkrankungen
  • Schilddrüsenunterfunktion
  • Gifte, wie zum Beispiel Arsen, Cadmium, Blei oder Quecksilber
  • Medikamente wie Cisplatin, ein Mittel, das bei Chemotherapien eingesetzt wird
  • Erbkrankheiten

Die Risikofaktoren einer diabetischen Polyneuropathie sind:

  • zunehmendes Alter
  • lange Dauer des Diabetes
  • Gefäßkrankheiten
  • Schädigung der Netzhaut und der Nieren durch Diabetes

Häufige Symptome: Von Kribbeln bis Schmerzen

Die polyneuropathischen Krankheitsbilder fallen sehr unterschiedlich aus, je nachdem, welche Nerven geschädigt sind. Allgemein unterscheidet man drei Typen:

  • Symmetrische oder sensomotorische diabetische Polyneuropathie: Mehrere Nerven an beiden Körperseiten sind beschädigt.
  • Autonome Neuropathie: Nerven des autonomen Nervensystems sind beschädigt, die die Funktion der inneren Organe bestimmen
  • Fokale Neuropathie: einseitige Nervenschädigung

Die ersten Anzeichen einer diabetischen Polyneuropathie sind meistens sehr mild und sie verändern sich nur langsam. Die genauen Beschwerden hängen von der Lage und der Art der neurologischen Ausfälle ab und reichen von Gefühlsstörungen und Kraftstörungen bis zu starken Schmerzen oder Herzrhythmusstörungen.

Typischerweise treten die Symptome als erstes an Zehen und Füßen auf, später an den Fingern, Händen und Knöcheln oder Unterschenkeln. Die Patienten spüren ein Kribbeln auf der Haut und ein Taubheitsgefühl, haben Temperaturempfindungsstörungen oder einen Druck in den Beinen  - alles  Beschwerden, die Nervenstörungen der peripheren Polyneuropathie in den Beinen andeuten.

Einige haben das Gefühl, dass ein Fuß geschwollen ist, obwohl es gar nicht so ist. Andere berichten, wie auf Watte zu gehen, oder brennende, bohrende, stechende oder krampfartige Schmerzen zu haben.

In vielen Fällen ist die Schmerzwahrnehmung schwach oder erloschen, was zu schmerzlosen Verletzungen und Wunden führt, die nicht gut heilen und gefährliche Eintrittsstellen für Infektionen darstellen. In Extremfällen können solche Infektionen das Absterben des Gewebes zur Folge haben, das eine Amputation nötig macht.

Sind die motorischen Nerven betroffen, werden Muskeln abgebaut, weil sie sich nicht mehr richtig zusammenziehen können.

Selten kommt es bei der sogenannten fokalen Neuropathie plötzlich zu starken Beschwerden.

Je nach Schweregrad sind weitere Beschwerden möglich:

  • Muskelschwäche an Händen und Füßen oder Muskelkrämpfe
  • Schluckstörungen, Völlegefühl, Erbrechen, Durchfall oder Verstopfung, Verdauungsstörungen, Magenlähmung
  • Schwindel oder Ohnmachtsanfälle beim Aufstehen wegen der gestörten Nervenkontrolle der Blutgefäße, die sich nicht rechtzeitig zusammenziehen und den Blutdruck plötzlich sinken lassen
  • Inkontinenz oder Impotenz
  • Verlust des Körpergleichgewichts und der Koordinierung der Bewegungen
  • Schlechte Pupillenanpassung an wechselnde Lichtverhältnisse, Doppelbilder, Schmerzen hinter dem Auge, Herabfallen des Oberlids
  • Herz-Kreislauf Störungen, wie zum Beispiel Herzrhythmusstörungen oder Herzinfarkt
  • Hypoglykämie: unbemerkter zu niedriger Blutzuckerspiegel
  • stark vermindertes Schwitzen, das trockene Haut verursacht, oder aber heftige Schweißausbrüche beim Essen
  • Atemstillstand während der Nacht
  • Begleiterscheinungen: Gewichtsverlust, Depression

Typische Beschwerden des Guillain-Barre-Syndroms, einer Sonderform der Polyneuropathien

Das Guillain-Barre-Syndrom äußert sich mit aufsteigenden, symmetrischen Lähmungen, Funktionsstörungen der Gesichts- und Augenmuskulatur, Kau- und Schluckstörungen sowie Atemlähmungen und Herzrhythmusstörungen. Die Ursache des Guillain-Barre-Syndroms ist die gestörte Funktion des Abwehrsystems, das Antikörper gegen die Nerven bildet und sie dadurch schädigt und zerstört.

Patienten mit Guillain-Barre-Syndrom, die Schädigungen der kranialen Nerven aufweisen, ohne Schwäche oder Lähmungen der Glieder, leiden unter einer ,Polyneuritis cranialis‘‘. Es handelt sich um eine Form des Guillain-Barre-Syndroms, die hauptsächlich Augen, Gesicht und Rachen befällt.

So läuft die Diagnose ab

Die Diagnose der Polyneuropathie basiert auf einer gründlichen neurologischen Untersuchung, während der potentielle Erscheinungen eines neurologischen Ausfalls gesucht werden.

Untersucht werden unter anderem, wie empfindlich die Haut auf Berührungen und Temperaturwechsel reagiert, wie stark die Muskeln sind und ob die Reflexe normal ablaufen oder fehlen. Der Arzt prüft auch die Vibrationsempfindlichkeit , wobei er eine angeschlagene Stimmgabel an einen Knochenvorsprung hält.

Des Weiteren sind folgende Tests hilfreich:

  • Elektroneurografie für die Bestimmung der Nervenleitgeschwindigkeit
  • Elektromyografie für die Bestimmung der Muskelaktivität
  • Quantitative sensorische Untersuchung: Sie besteht aus sieben Tests, mit denen die Empfindungsschwellen für Reize ermittelt werden, wie zum Beispiel Kälte, Wärme, Berührung oder Druck auf der Haut
  • Elektrokardiogramm
  • Blutdruckmessungen unter verschiedenen Bedingungen, zum Beispiel im Liegen, direkt nach dem Aufstehen oder über einen längeren Zeitraum mit einem tragbaren Messgerät
  • Ultraschalluntersuchung der Harnblase
  • Magenspiegelung
  • Blutuntersuchungen

Therapie: Welche Medikamente und Hausmittel helfen

Welche Therapie in Frage kommt, hängt im Einzelfall von den gestörten Nervenfunktionen und den Beschwerden ab.

Ist der Patient schon erkrankt, ist die Fußhygiene sehr wichtig. Betroffene sollten täglich ihre Füße nach Blasen, Rötungen, kleinen Verletzungen, Einrissen oder Druckstellen absuchen und sie mit warmem Wasser und Seife reinigen.

Zur Linderung der Nervenschmerzen stehen folgende Mittel zur Verfügung:

  • Medikamente: Analgetika, Antidepressiva oder Antikonvulsiva sind hilfreich, in schweren Fällen auch Opioide.
  • Transkutane elektrische Nervenstimulation: Nerven werden durch auf die Haut aufgeklebte Elektroden stimuliert, um die Schmerzwahrnehmung positiv zu beeinflussen.
  • Hausmittel der physikalischen Therapie werden empfohlen, wie zum Beispiel Krankengymnastik, Wechsel- und Bewegungsbäder, Elektrobehandlung gelähmter Muskeln oder warme und kalte Wickel.
  • Mittel aus der Homöopathie, wie zum Beispiel Aconitum, Dulcamar, Hypericum, Mezereum oder Cedron können bei stechenden oder brennenden Schmerzen oder bei Missempfindungen eingesetzt werden.

Bei Magen- und Darmbeschwerden helfen häufige kleinere Mahlzeiten und die Einnahme von Mitteln gegen die Übelkeit oder den Durchfall. Ist eine Magenlähmung eingetreten, kann ein Magenschrittmacher implantiert werden, der die Magenentleerung beschleunigt.

Bei Schwindelanfällen helfen Stützstrümpfe und regelmäßiges Muskeltraining. Denken Sie auch daran, langsam aufzustehen.

Bei Inkontinenz sollten Betroffene regelmäßig zur Toilette gehen, unabhängig davon, ob sie Harndrang spüren oder nicht.

So beugen Sie vor

Die beste Vorbeugung bei Diabetikern ist die Behandlung der Zuckerkrankheit mit gesunder Ernährung, viel Bewegung und der angemessenen Therapie mit Antidiabetika oder Insulin, so dass es gar nicht erst zur Polyneuropathie kommt. Bei einer alkoholbedingten Polyneuropathie ist die absolute Abstinenz die wichtigste Maßnahme.

Weitere behandelbare Risikofaktoren sind:

  • Bluthochdruck
  • zu hohe Blutfettwerte
  • Rauchen, ungesunde Ernährung und zu wenig Bewegung
  • Übergewicht

Fazit

Eine Polyneuropathie verläuft oft lange Zeit symptomlos, was der Grunderkrankung erlaubt, ernste Nervenschädigungen zu verursachen. Deswegen müssen erste Anzeichen, wie Kribbeln oder Missempfindungen, ernst genommen werden. Je früher die Nervenschädigung erkannt und je besser die Grunderkrankung beherrscht wird, desto besser ist der Verlauf. Wenn die Polyneuropathie zum Zeitpunkt der Diagnose schon irreversible Nervenschäden verursacht hat, dann ist sie nicht mehr heilbar.

Links

Berufsverband Deutscher Nervenärzte
Deutsche Gesellschaft für Neurologie
Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde
Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes
Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Schmerztherapie
Deutsche Schmerzhilfe
Deutsche Schmerzliga
Deutscher Diabetiker Bund
Deutsche Diabetes-Gesellschaft
Deutsche Diabetes-Stiftung

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